Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Apollonia

Apollonia

Titel: Apollonia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annegret Held
Vom Netzwerk:
Langdehrenbach.
    Der Freier von Langdehrenbach, der meine Großtante Hanna zu sich geholt hatte in das schöne Tal, wo der Elbbach fließt, hatte eine Schneidmühle und eine Dampfmaschine und war ein fleißiger Mann. Darum lebte meine Großtante Hanna nun in einem großen Haus und hatte zwei prächtige Söhne und eine Tochter, die sah aus wie das Rosenresli, mit zwei Grübchen, und sollte später noch schöner werden als Hanna, Apollonia und Klarissa zusammen. Sie hatten einen riesigen Hof und ein stattliches Haus aus Stein mit einem Walmdach und Gauben, und was sonst niemand hatte weit und breit: Sie hatten ein Wohnzimmer! Ein Wohnzimmer mit einem Buffetschrank und einem Sofa mit Kissen von Brokat und einem Ohrensessel, mit einem reich geschnitzten Tisch und Stühlen aus Ebenholz und spitzengeklöppelte Decken und Gardinen und Vorhängen. Tante Hanna hatte es weit gebracht. Manchmal kamen sie nach Scholmerbach, und dann musste Apollonia ihnen Kaffee kochen aus gespeltzten Gerstenkörnern, die sie in der Pfanne briet und mit heißem Wasser übergoss, den konnte man gerade wieder ausspucken. Daher brachte Tante Hanna den Kaffee mit und ließ ihr gleich ein paar Pfund da. Auf Klemens war ja kein Verlass, und Apollonia musste ein wenig sparen, denn wenn der Jude Simon vor der Tür stand, wollte Apollonia ihn auch nicht immer wegschicken.
    Tante Hanna hatte alles vom Juden Joel aus Wällershofen, dem feinsten Geschäft weit und breit, die schönsten Kleider, einen Wintermantel, ein Kleidchen für ihr Töchterlein und Sonntagsanzüge für die Buben, Tante Hanna war fein raus. Warum hatte man der nicht ein paar Ruhrpottwitwen ins Haus gestopft? Tante Hanna hatte viel, viel mehr Platz, da passten gut und gern noch zwanzig Witwen rein, das war eine Ungerechtigkeit im Leben, das sollte Apollonia mal jemand büßen, am besten der Klemens, der war an allem schuld.
    Apollonia war immer so verstockt, haben die Leute gesagt. Sie bot auch nicht jedem einen guten Tag, und wen sie nicht leiden konnte, den konnte sie nicht leiden. Genau wie Tante Hanna. Die Leute sagten: Hanna und Apollonia waren nicht gerade gnädig. Man konnte mit ihnen nicht gut Kirschen essen. Sie wollten sich nicht »gemein machen«. Es war, als müssten sie sich von den dummen Menschen fernhalten, denn in Scholmerbach wurde viel zu viel gelacht. Selbst in der schlechten Zeit brach es immer wieder durch, und allzu schnell fiel man dem Pöbel anheim. Man musste auf sich halten. Am besten hielt man auf sich, wenn man auf die dummen Menschen im Dorf schimpfte.
    Wenn Großtante Hanna zu Besuch kam, begann sie mit meiner Großmutter Apollonia bereits beim ersten Schluck aus der Kaffeetasse auf die Leute zu schimpfen, und sie begannen in der Hauptstraße und machten in der Lindenstraße weiter und fuhren mit der Schafsbachgasse fort und hörten nicht auf, und passten auf, dass sie auch keinen vergaßen vom ganzen Dorf und auch keinen aus der missratenen Verwandtschaft, bis es endlich Nacht geworden war. Apollonia und Hanna wurden im Laufe der Jahre immer hagerer und dünner und kleideten sich eher dunkel und ihrem Alter gemäß. Beim Schimpfen schienen sie auf ihren Stühlen vorwärts und rückwärts zu kippen und auseinander und wieder aufeinander zu mit erhobenen, dünnen Zeigefingern, und ihre Stimmen wurden lauter und lauter und höher und höher, bis sie sich derart in Rage geredet hatten, dass Tante Hanna ein ganz feuchtes und rotes Gesicht hatte und sich aus ihrem Dutt Strähnen lösten und ihr in die Stirn fielen und sie nach Luft rang.
    Tante Klarissa hingegen war so gut, dass sie gut war, sagten die Leute. Ihre Stimme war sanft und still, und es war manchmal ärgerlich, dass sie immer nur Gutes über jedermann sagte. Sie war früh Witwe geworden und hatte drei Kinder und aus dem Dachdeckerbetrieb eine recht gute Rente, und sie lebte in einem großen, schmuckvollen Reihenhaus, das war mit Schiefer beschlagen. Sie marschierte allein die sieben Kilometer durch die Hecken nach Scholmerbach, um Apollonia zu helfen und den Garten umzugraben und die Mutter Kathrein zu pflegen, und wenn es Apollonia schlechtging und sie gar nicht mehr weiterwusste, wollte sie niemanden um sich haben als nur Klarissa. Diese verströmte einen Sanftmut und eine Hoffnung, und um ihre Stirn lösten sich immer einige von den zurückgezurrten Haaren und ringelten sich hell und freundlich um ihr Gesicht. Wenn sie einen Nachmittag dagewesen war, dann schien das Haus nicht mehr so schmutzig zu

Weitere Kostenlose Bücher