Apollonia
schicke.
– Ja, wo es der dann, wenn der gebraucht wärd?
Klemens war im Wald und auf dem Feld, er war auf dem Zimmerplatz und auch bei seinen Brüdern, er war im Stall und auch bei seiner Mutter, er war bei Apollonia am Küchentisch und saß gerne bei Honiels und in der Waldeslust. Aber er ließ sich so wenig festnageln wie das Sägemehl, das aus der Schneidmühle tanzte, und er trabte durch das Dorf, so eigensinnig wie der Schafsbock von Lennards Klärchen, und sagte keinem seine Wege.
Er setzte sich gerne in die Dorfkirche, denn dort war er alleine und konnte er schön denken und fühlte sich verbunden mit etwas Höherem vom lieben Gott, das man nicht begreiflich machen konnte, das war so heilig und auch so süß, es waren eine Herrlichkeit und eine Glücklichkeit und eine Andacht und ein Geheimnis, die er mit dem Herren teilte.
– Der sitzt einfach da, sagten die Leute. Statt was zu schaffen, sitzt der einfach da.
Immer mehr Leute sahen ihn so sitzen, denn je länger der Krieg dauerte, umso mehr Gesellschaft kriegte er, und sie saßen um ihn herum und beteten und weinten und beteten und weinten.
Nur am Sonntag, da standen sie alle auf und erhoben ihre Stimmen zum »Großer Gott, wir loben dich«, und mein Großvater sang immer am lautesten.
Etwas aber fehlte. Hatten sie nicht immer zu den wundersamen Tönen vom alten Harmonium gesungen, das auf der Empore stand und sie so herrlich begleitete beim Kyrie Eleison und beim Agnus Dei, hatten sie nicht immer die Augen geschlossen, wenn sie den Leib Christi als Hostie im Mund zergehen ließen und Hehns Aloysius versunken noch das Ave Verum spielte? Nun war es ganz still, und man hörte nur die Absätze des Pfarrers von Marienfelde, der zur Aushilfe kam, weil doch der Pfarrer von Hellersberg im Umerziehungslager war. Man hörte die Messdiener schnaufen und die Gebetbücher rascheln und fragte sich, wieso der Pfarrer Klarfeld erzogen werden müsse. Nur weil er gegen die Radikalisierung der Jugend war und freundliche Worte für die Juden hatte und es schrecklich fand, wie man Schajs Simon blindgeschlagen hatte, hatten sie ihn abgeholt. Es war nicht rechtens, und das wusste Fredo ganz genau, und man konnte ihm nicht mehr trauen, man konnte niemanden mehr trauen. Ruckzuck konnte man auch wegkommen, so wie der Kommunist aus Ellingen und die warmen Brüder aus Wennerode, man hatte sie abgeholt und nach Weilmünster geschleppt und entmannt. Nun war man ja kein Kommunist und auch kein warmer Bruder, aber man musste ja auch an die Mütter denken, einer Mutter zerriss es doch das Herz, musste man einen Menschen denn gleich verschleppen? Es war doch nun mal kein Mensch wie der andere auf der Welt.
In der kleinen Kirche von Scholmerbach war es still geworden, ganz still, denn der Hehns Aloysius stand im Felde, und niemand konnte auf dem Harmonium spielen, und in der unheimlichen Stille betete jeder für den Pfarrer Klarfeld, den sie irgendwo in der Mangel hatten.
Der Partei gefiel es gar nicht, dass jetzt die Kirchen so knüppelvoll waren. Es gefiel ihr auch nicht, wie mein Großvater herumschwadronierte, dass Adolf Hitler die Völker überfiel. Fredo hatte meinem Großvater schon oft gesagt, er solle das Maul halten, und die anderen Völker hätten Deutschland geknechtet und schmählich gedemütigt, und wir müssten unsere Ehre wiedererlangen. Aber mein Großvater hörte ja nicht zu und ließ sich erst recht nichts sagen. Wenn er den Schnaps im Leib hatte, dann ging ihm der Mund über, und dann sagte er allen alles, was er dachte, und da er den Herrgott in sich fühlte, sagte er auch dem Fredo ins Gesicht:
– Der läuft ins dolle Hundert!, und meinte nichts anderes als dass alles, was der Führer für ein großdeutsches Reich und die Weltherrschaft beschlossen hatte, ohne Sinn und Verstand sei und in ein schreckliches Unheil führe. Mein Großvater fand alles, was er sagte, richtig und wichtig, und es platschte gewissermaßen aus ihm heraus. Dass es gar niemandem half und er sich um Leib und Leben redete, das merkte er nicht. Und nur weil die Leute ihn für einen fürchterlichen Simpel hielten, der nicht wusste, was er sagte, und im besoffenen Kopf herumschwadronierte, geschah ihm lange Zeit nichts, und sie ließen ihn gewähren, als wäre er nichts anderes als wie der scheppernde Dampfkessel oder der spuckende Zapfhahn oder die Marschmusik, die aus dem Volksempfänger lief.
Meine Großmutter Apollonia lebte inzwischen vollends in der Meinung, dass sie sich in ihrer
Weitere Kostenlose Bücher