Apollonia
begannen zu jammern, wie schwer man es hat als Witwe, und auf den Schreck müssten sie erstmal einen trinken, und Klemens holte seinen Selbstgebrannten hervor und goss jedem einen ein. Keiner wollte sie haben, sagte Luise Auguste. Obwohl ja ihr Mann eigentlich von hier sei und in jungen Jahren aus Ellingen in den Ruhrpott gegangen sei, um Arbeit zu finden, hätte man sie nicht wie seinesgleichen aufgenommen. Und dabei, meinte Wilhelmine, hätte schon der Herr Jesus gesagt, dass das zur Barmherzigkeit gehöre: Hungrige speisen, Durstige tränken, Fremde beherbergen und so weiter. Das stünde schon in der Bibel geschrieben. Derer sei das Himmelreich. Prost.
Da hatte Wilhelmine aber mal ausnahmsweise recht, und wie sie das so sagte, machte es Klemens zu schaffen, denn mit dem Herrgott wollte er es sich nicht verderben. Er überlegte, wo man die Witwen unterbringen könnte. Man müsste vielleicht einmal mit dem Bürgermeister reden oder mit Fredo, den konnte er zwar nicht leiden, aber jemand musste ihm helfen. Sonst machte Apollonia ihm noch einmal die Hölle heiß, und der Buckel tat ihm immer noch weh.
Mein Großvater wollte sich die Sache noch mal überlegen, denn er war ja ein Christenmensch, und man konnte ja nichts übers Knie zerbrechen.
Aber leider wollte Apollonia nicht mehr überlegen und hatte es satt, dass die Witwen dasaßen und sich betranken und ihr was vorheulten, jeder hatte seine eigene Plage, was fiel ihnen ein, und Klemens war so töricht und fiel auf alles herein. Immer scherte er sich um das Gedöns von anderen Leuten, aber um die eigenen kümmerte er sich nicht, immer waren ihm wildfremde Leute wichtiger als der eigene Hausstand und die eigene Frau und das Kind, die konnten sehen, wie sie zurechtkommen. Apollonia spürte wieder die Wut in ihr hochsteigen, aber wenn Klemens es nicht fertigbrachte, dann würde sie gleich morgen selber den Fredo und den Bürgermeister aufsuchen, damit sie ihr halfen, die Ruhrpottwitwen aus dem Haus zu schaffen.
Fredo und der Bürgermeister aber waren gerade sehr beschäftigt, denn sie hatten ein schweres Amt in diesen Zeiten. Nicht nur, dass sie sich um das Dorf kümmern mussten und darum, dass alle auf Linie blieben und der Partei den absoluten Gehorsam entgegenbrachten, nein, sie bekamen nun auch immer diese Briefe aus dem Felde, die sie persönlich den Leuten überbringen mussten. In denen stand geschrieben, dass der Müllerschorsch ein Bein verloren hatte und dass Ruhrersch Ernst auf Leben und Tod in Majidanek im Feldlazarett lag.
Als aber die Nachricht kam, dass die Franzosen besiegt waren in sechs Tagen, da fiel der alte Hanjokeb draußen beim Heuwagen auf die Knie und schrie: Oh mein Gott!! Dann warf er die Heugabel fort und ließ seine Magda und das Vieh und den Heuwagen stehen und rannte nach Hause. Dort zog er seine Uniform aus dem Ersten Weltkrieg an und traf sich mit den anderen Kriegsveteranen, und dann zogen sie zum Honiels und soffen eine Woche lang. Was war der Adolf für ein Kerl, dass er ihnen Somme und Verdun heimzahlte, dass sie das noch erleben durften, da mussten sie weinen und trinken und feiern, sieben Tage lang.
Während die Männer bei Honiels betrunken herumlagen, gab es schon Häuser in Scholmerbach, wo das Entsetzen Einzug hielt, und sie weinten und schrien, und die Trauer begann, weil schon der Fünfte aus dem Dorf gefallen war.
Meine Mutter Marianne brachte morgens die Kanne an den Milchtisch, wo sie der Milchmann abholte, und die Frauen versammelten sich in der Herrgottsfrühe, weil der Milchmann, der aus Wällershofen kam, die Gefallenenlisten schon kannte. Da gab es ein fürchterliches Weinen um die Milchkannen herum und ein grausames Geschrei, und wer später die Milch trank, der musste die Scholmerbacher Schreie aus tiefem Seelengrund mittrinken.
Nur wer niemanden im Felde hatte, der konnte getrost wieder nach Haus gehen, dazu gehörten meine Großmutter oder meine Mutter, und sie wurden von den anderen beneidet, und es hieß, wieso muss der deine nicht hinaus an die Front? Der will sich doch nur drücken! Und unsere riskieren ihr Leben!
– Was kann eysch dafür, sagte Apollonia. Aaner muss doch off dem Zimmerplatz bleiwe und Klemens wor der Jüngste.
– Dann soll er wenigstens bei us mal helfe, wenn der Ochse offs Feld muss. Der Viehwagen so schwer ze lenken. Ich kann aach mol einen Mann bei der Arbeit gebrauche, der kann mir mol helfe.
– Das doit der beim beste Wille auch derhaam net. Brauch ich dir garnet ze
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