Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Apollonia

Apollonia

Titel: Apollonia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annegret Held
Vom Netzwerk:
so zu Leibe, und zu Leibe rücken, das konnte sie nicht vertragen, und sie wurde steifer, so steif wie ein Stecken.
    Da geschah es, dass meine Großmutter Apollonia in den Keller ging, um im moderigen Verschlag ein paar Kohlen zu holen, während nebenan mein Großvater Klemens wieder einmal mit dem Schnaps herumexperimentierte, und der Waschkessel brodelte, und die Maische in der Milchkanne vergor, und plötzlich erschütterte eine Explosion den kleinen, massiven Keller des Lehmhauses, und ein Schrei fuhr durch das Haus, und Marianne, Jakob und die Ruhrpottwitwen zitterten um ihr Leben. Nichts anderes glaubten sie, als dass nun der Krieg mit Bomben und Granaten nach Scholmerbach gekommen sei. Als sie jedoch hinunter in den Keller rannten, fanden sie meinen Großvater Klemens auf dem Rücken liegend und die Milchkanne zerborsten in Hunderte von Teilen und den Keller voller Bröckchen vergorener feuchter Gerste, und der Deckel vom Waschkessel hing über dem Regal mit dem eingekochten Kesselfleisch. Da ist es gewesen, dass auch meine Großmutter Apollonia zum allerersten Mal explodiert war, und alles, was in ihr war, ist ebenso aus ihr herausgefahren wie die vergorene Maische aus der Milchkanne. Apollonia brannte lichterloh in ihrer Dapprechter Wut, und da hat man gesehen, dass ihre Fäuste flogen, und sie hat sich auf meinen Großvater gestürzt und ihn im niedrigen Keller verhauen und verkloppt, was das Zeug hielt. Da war es so weit. Meine Großmutter hat meinen Großvater verdroschen, so was hatte die Welt noch nicht gesehen.
    Meine Großmutter Apollonia drängte im Jahr 1940 sehr darauf, den Ruhrpottwitwen endlich zu sagen, dass sie sich ein anderes Quartier suchen sollten. Es war ja kein Leben, wenn man zwischen Kuhstall und Kohleofen und der kranken Mutter immer um die Stangen mit den Handtüchern und dann um den Spülstein und um das Bänkchen mit der Schüssel und dem Schälmesser und dem Kartoffelsack rennen musste, und dann sollte man nicht das Kind verbrühen, wenn man das Kraut vom offenen Feuer nahm. Die Witwen aber hatten oben ein herrliches Leben, die alte Wilhelmine Wratzlaff hatte ein Zimmer und die Luise Auguste Nowak eines, und nur der Junge Jakob schlief bei seiner Mutter. Sie konnten in der Küche sitzen und hatten jeder genug Platz, und die Alte konnte die Füße ausstrecken und der Junge seine langen Gräten und Luise ihre Beine in den löcherigen Wollstrümpfen.
    Meine Mutter Marianne wollte mit aller Macht dem Ehebett von Apollonia und Klemens entfliehen und nicht mehr neben seinen langen Unterhemden und dem Geschnarche liegen und nicht mehr neben der Mutter, die beinahe aus dem Bett fiel. Sie träumte sehnsüchtig von einem eigenen Zimmer, und da meine Mutter noch immer für meinen Großvater das Paradiesengelchen war und ihre blonden Haare behalten hatte und ihre roten Pauswangen, konnte er ihrem Drängen und Protestieren nicht mehr widerstehen. Also gab er sich eines Tages geschlagen und machte sich auf, den Kampf zu beginnen, und die Witwen aus ihren Stuben hervorzuholen.
    – Konnt ihr mol komme?!, rief er die Treppe hinauf.
    – Watt is?, schallerte es von oben.
    – Mir muss mol wott schwetze!!
    – Is gut!
    Die Witwen kamen mit Jakob die Treppen hinunter und grüßten und sagten, watt gibt es Neues und erzählten, dass Jakob jetzt auch zum Reichsarbeitsdienst auf das Haselbacher Feld müsse und dann sicher bald an die Front.
    – Dat bricht eine Mutter dat Härz! Wofür ha’m wir’n groß gezohng … un unter all die Entbehrungen gelitten!!
    – Ei – ihr hatt doch de Krieg gewollt!, rief mein Großvater wutentbrannt.
    – Et kann nur heißen: ein Volk, ein Reich, ein Führer!! Da fraachße nich, ob eim dat gefällt! Da heißt et nur: Führer befiel – wir folgen, woll? Der weiß schon, wat gut is für uns! Wir wer’n siegen!! Siegreich wer’n wir Frankreich schlagen, woll!
    Da kam meine Oma Apollonia und schubste meinen Großvater in das Kreuz, damit er sich nicht wieder verzankte und endlich sein Anliegen vorbrachte:
    – Hörte mal, Wilhelmine und Luise, vielleicht, … harre mir gemaant, braucht ihr obe nicht gar so viel Platz wie mir unte brauche, wenn jetzt noch euer Bub fortgeht, könnte mir doch noch ein Zimmer wieder krieche, oder vielleicht könnde mer auch mal überlege, ob net woander noch a Plätzche für euch ze finde wär.
    Wilhelmine und Auguste ließen sich auf die Stühle fallen und sagten: Ach du Schreck! Und – Ach du Herr und mein Vaterland!!
    Und sie

Weitere Kostenlose Bücher