Apple - Die Geburt eines Kults
entlassen und sechs Monate später bestellte er eine funkelnagelneue Beachcraft Bonanza.
„Er will jetzt keine Fotos.“
– ANGESTELLTE DER WERBEAGENTUR REGIS MCKENNA
Der Aufenthaltsraum des Wohnheims an der Stanford University sah aus wie der schlecht beleuchtete Schauplatz eines Schauerromans aus dem 19. Jahrhundert. Über den Heizkörpern wölbten sich Sockel aus Marmorimitat und vergoldete Kronleuchter warfen gelbliche Schatten an eine mintgrün gestrichene Decke. Herbstlich kahle Zweige strichen in der windigen Dämmerung über die Fensterscheiben. Etwa hundert Erstsemester, von denen die meisten anscheinend ernstlich einen Abschluss anstrebten, hatten diverse bequeme Haltungen eingenommen. Ein paar von ihnen fummelten an kleinen Kassettenrekordern herum. Sie waren gekommen, um Steve Jobs zuzuhören. Von der Zwanglosigkeit ausgenommen waren die drei Frauen von der Werbeagentur Regis McKenna, die am hinteren Ende des Raums saßen. Sie waren an der Auswahl für die Einladungen dieser Studenten aus den rund zwei Dutzend Anfragen beteiligt gewesen, die Jobs jede Woche bekam. Die jüngste der drei war Jobs zwar noch nie begegnet, wachte ihn jedoch mit eheähnlicher Vertraulichkeit über ihn und fuhr eine Zeitschriftenfotografin an: „Er ist nicht so gut gelaunt. Er will jetzt keine Fotos.“
Für die Studenten war der Vorsitzende von Apple Computer eine willkommene Abwechslung von den vertrauten College-Administratoren und Professoren, die ihnen bei den vorangegangenen Anlässen vorgesetzt worden waren. Jobs trug ein formell-neutrales, gut geschnittenes Baumwoll-Sportsakko und Jeans: Brust eingekleidet von dem Konfektionsgeschäft Wilkes Bashford aus San Francisco, Beine von Levi Strauss. Während ein Student ein paar einführende Bemerkungen machte, schälte sich Jobs aus seiner Jacke, zog ein paar abgetragene Cord-Stiefel aus, die ein Paar Rautensocken entblößten, und nahm auf einem Kaffeetisch die Lotusposition ein.
Die Studenten schienen ein wenig eingeschüchtert zu sein, aber die Fragen, die gestellt wurden, machten schnell deutlich, dass der Untersuchungsgegenstand sich in ihren Augen nicht wesentlich von einem Apple-Computer unterschied. Jobs nutzte die Fragen als Anlass für eine verführerische Rede, die er mit minimalen Abwandlungen als Standardvortrag für Zeitschriftenredakteure, Kongressausschüsse, Behörden, Business-School-Studenten, Elektronikmessen, Politiker und Gastwissenschaftler benutzte. Sie erklärte zum Teil, weshalb Apple so populär war und wieso es Jobs ein paar Monate zuvor auf den Titel von Time geschafft hatte. Die Rede war eine Kreuzung aus technischer Bekehrung und Unternehmenswerbung, und Jobs jonglierte eifrig mit den Rollen des Standartenträgers und des Werbeträgers für sein Unternehmen.
Er erzählte, wie es mit Apple losgegangen war: „Als wir mit Apple starteten, haben wir den ersten Computer deshalb gebaut, weil wir einen haben wollten.“ Jobs fuhr fort: „Dann haben wir diesen irren neuen Computer mit Farbe und einem ganzen Haufen anderer Dinge konstruiert, den Apple II, von dem Ihr wahrscheinlich schon gehört habt.“ Er setzte hinzu: „Wir waren leidenschaftlich auf etwas ganz Einfaches aus, nämlich unseren Freunden einen Haufen Computer zu verschaffen, damit sie genauso viel Spaß haben könnten wie wir.“
Plötzlich leuchtete das Blitzgerät der Zeitschriften-Fotografin auf, und Jobs fragte: „Was war denn das?“ Damit löste er wieherndes Gelächter aus. Die Fotografin war neben einer Säule in die Hocke gegangen und hob ihre Kamera. Jobs hielt inne, starrte in das Objektiv, sagte „Hi!“ und die Fragen hörten auf. Als sie wieder einsetzten, wollte ein Student wissen, wann die Aktie des Unternehmens steigen würde. „Darüber kann ich nicht reden“, sagte Jobs zurückhaltend. Er erklärte, er hoffe, dass Apple eines Tages eine halbe Million Computer im Monat verkaufen würde. „Einen Computer zu benutzen ist immer noch ganz schön nervig.“ Er erzählte den Studenten von dem Lisa-Computer des Unternehmens, offenbarte ihnen seinen Traum, einen Computer in ein Buch zu packen, und versprach: „Wir werden keinen Müll in ein Buch stecken, weil das schon unsere Konkurrenten tun werden.“
Dann erzählte er den Studenten von seinem Plan, allen Highschools des Landes einen Computer zu schenken. Zyniker argwöhnten, das sei ein eiskalter Werbetrick, um Generationen von Apple-Nutzern zu produzieren, aber am Anfang war es eine romantische Geste
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