Aprilgewitter
nachdenklich. »Da hast du gewiss recht! Elsie hat also Tirassow und die arme Hanna umgebracht. Wir müssen auf jeden Fall verhindern, dass Fridolin von Trettin dafür büßen muss. Anton, rufe eine Droschke und sage dem Kutscher, er soll auf uns warten. Kind, ich streiche noch rasch Salbe auf deine Striemen und verbinde die schlimmsten Wunden. Dann fahren wir zu Frau von Trettin. Ich hoffe, du wirst deinen Hunger bis dorthin bezähmen können.«
Die junge Hure nickte, obwohl sie nicht glaubte, in einem besseren Haushalt auch nur einen Schluck Wasser, geschweige denn
ein Abendessen zu erhalten.
XIV.
D a sie Lore in dieser schweren Zeit nicht allein lassen wollten, besuchten Mary und Konrad sie jeden Abend, während ihr Dienstmädchen auf den kleinen Jonny aufpasste. Im Grunde aber wussten beide nicht, wie sie ihre Freundin trösten sollten. Daher verlief das Gespräch auch bei diesem Besuch schleppend, und die Dämmerung drückte die Stimmung weiter. Als Jean mit versteinertem Gesicht erschien und Besuch ankündigte, schreckten alle Anwesenden wie aus einem bösen Traum auf.
»Wer mag das sein?«, fragte Mary ängstlich, während Lore eher hoffnungsvoll auf die Tür schaute. In dieser elenden Situation war sie sogar bereit, die Unterstützung des Höllenfürsten anzunehmen und ihm ihre Seele zu verkaufen. Als sie Hede Pfefferkorn erkannte, war sie im ersten Augenblick enttäuscht, denn sie konnte sich nicht vorstellen, dass die Frau Neues berichten konnte. Der seltsame Ausdruck auf dem Gesicht der Bordellbesitzerin ließ sie jedoch ebenso stutzen wie die krank und erschöpft wirkende junge Frau, die hinter Frau Pfefferkorn in der Tür erschien.
»Das ist Lenka, bisher meine beste Kraft«, stellte Hede ihre Begleiterin vor. »Sie und eine weitere Hure aus meinem Haus wurden von einem Herrn für dieses Wochenende angefordert. Doch als sie in Leutnant von Trepkows Haus ankamen …«
»Mein Bruder besitzt kein Haus!«, unterbrach Caroline sie harsch.
Hede wandte sich ihr mit einem verkniffenen Lächeln zu. »Es handelt sich um eine verfallene Kate bei Kleinmachnow südlich von Berlin. Wie Lenka erfahren konnte, hat Leutnant von Trepkow dieses Haus früher an Herrenrunden vermietet, die von der Polizei unbehelligt Karten spielen oder auch nur etwas erleben wollten, von dem man zu Hause nichts wissen durfte.«
»Aber das …« Caroline brach in Tränen aus. »Davon haben Mama und ich nichts gewusst. Mein Gott! Wenn ich daran denke, dass wir gar nicht in Berlin hätten hausen müssen, wo meine Mutter krank geworden ist. In einem eigenen Häuschen auf dem Land wären wir gut ausgekommen. Dort ist das Leben billig, und wir hätten uns keine Sorgen um unser tägliches Brot zu machen brauchen.«
Gregor Hilgemann ergriff ihre Hände. »Beruhigen Sie sich, gnädiges Fräulein! Es war Gottes Wille, dass es so gekommen ist. Er wird Ihnen auch wieder schönere Tage schenken.«
»Das wird er hoffentlich!« Caroline unterdrückte schniefend die Tränen, die in ihr hochstiegen, und wandte sich Lore zu. »Verzeihen Sie, liebste Freundin. Doch diese Nachricht hat mich erschüttert.«
»Es wird Sie alle noch mehr erschüttern, wenn Sie hören, was Lenka weiter in Erfahrung gebracht hat!« Hede forderte nun das Mädchen auf, von ihren Erlebnissen zu berichten. Doch als Lenka begann, kam nur ein Krächzen aus ihrem Mund.
»Dürfte ich vielleicht um ein wenig Wasser für meinen Schützling bitten. Lenka hat Schlimmes durchgemacht«, bat Hede.
Lore wies Jutta an, zwei Gläser Wein zu bringen, und fragte dann, ob Hede und Lenka hungrig wären. Während Erstere verneinte, nickte die junge Hure verschämt. »Ich habe seit heute Morgen nichts zu mir genommen und bin fast vier deutsche Meilen durch den Regen gelaufen.«
»Ein Grog wäre vielleicht auch gut, Lenka ist ganz ausgekühlt«, warf Hede, mutiger geworden, ein.
»Ich kümmere mich darum. Die anderen wissen ohnehin nicht, wie ein richtiger steifer Grog gemacht wird!« Konrad stand auf und verließ das Zimmer. Als er nach wenigen Minuten zurückkehrte, hatte Lenka sowohl ein Glas Wein wie auch eines mit Limonade getrunken und zwei Wurstbrote verdrückt.
»Danke!«, sagte sie und begann nun ihren Bericht.
Lore und ihre Freunde hörten schweigend zu. Bei der Erwähnung des Namens Elsie sog Lore hörbar die Luft ein, und als ihr klar wurde, dass es sich bei dieser Frau um ihr diebisches Dienstmädchen handelte, krampfte sie die Hände um das Limonadenglas, aus dem sie
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