Aprilgewitter
Elsie nur einmal bei ihrem Auftritt während der Parade erlebt.
Eine Weile später erschien ein Schutzmann und schritt die mit Fahnen und farbigen Plakaten geschmückte Halle so gewichtig ab, als müsse er mit seiner ganzen Person die Obrigkeit präsentieren. Dabei wurde er auf die kleine Gruppe aufmerksam. »Kann ich den Herrschaften behilflich sein?«
Lore wollte bereits ablehnen, doch Gregor begriff, welche Chance ihnen hier geboten wurde. Er zeigte auf die
Hammonia
, die wie ein riesiger, stählerner Wal an der Landungsbrücke lag. »Wir suchen eine Diebin, die mit ihrer Beute auf dem Schiff dort nach Amerika ausbüxen will!«
Jetzt begriff Lore, was ihr Begleiter vorhatte, und schaltete sich in das Gespräch ein. »Die Frau heißt Elsa Röttgers, wird im Allgemeinen aber Elsie genannt und ist bereits früher wegen Diebstahl und Unterschlagung verurteilt worden. Sie war einige Monate in meinen Diensten und hat auch mir Geld gestohlen.«
»Zwischendurch – gnädige Frau mögen meine offenen Worte verzeihen – hat diese Elsa Röttgers in einem Bordell gearbeitet und auch dort lange Finger gemacht.«
Gregors Taktik ging auf, der Beamte stampfte auf den Schalter zu, an dem kurzentschlossene Reisende ihre Passage buchen konnten. Zwar stand noch das Schild »Geschlossen« auf dem Tresen, doch der Reedereiangestellte beantwortete bereitwillig seine Fragen.
Zufrieden nickend kehrte der Gendarm zu Lore und ihren Begleitern zurück. »Diese Elsa Röttgers ist als Passagierin der zweiten Klasse eingeschrieben. Welch eine Frechheit für eine Hure, sich zu ehrbaren Frauen gesellen zu wollen!«
Er schneuzte sich und legte das Gesicht in amtliche Falten. »Ich habe den Mann am Schalter angewiesen, dafür Sorge zu tragen, dass die Diebin nicht an Bord des Schiffes gelassen wird.«
»Herzlichen Dank, Herr Wachtmeister. Das war sehr klug von Ihnen!« Lore überlegte, ob sie dem guten Mann ein Trinkgeld geben sollte, befürchtete aber, er könnte dies als Bestechungsversuch ansehen. Daher beschloss sie, Gregor dieses Problem zu überlassen, und starrte in Richtung des Eingangs, um das Weib ja nicht zu verpassen. Keine Minute später sah sie Elsie auftauchen und zuckte zusammen.
»Dort ist sie!« Sie drängte so rasch in die entsprechende Richtung, dass die anderen kaum Schritt halten konnten. Als sie Elsie erreichte, stand diese am Fuß der Gangway und stritt sich mit zwei Angestellten der Reederei, die sie nicht an Bord gehen lassen wollten.
»Der Zutritt zum Schiff ist erst in einer Viertelstunde gestattet, gnädige Frau. So lange werden Sie noch warten müssen«, erklärte einer der Männer autoritär.
»Wenn es nach mir geht, wird sie erst gar nicht an Bord kommen!« Lore trat auf Elsie zu und funkelte sie zornig an. »So finde ich dich wieder, du diebische Elster!«
»Fräulein Lore! Ich meine, Frau von Trettin!« Elsie sah aus, als hätte sie der Schlag getroffen, drehte sich dann aber flink um und wollte zwischen den beiden HAPAG -Angestellten hindurch zur Gangway schlüpfen. War sie erst einmal an Bord, hoffte sie, sich so lange verstecken zu können, bis das Schiff abgelegt hatte.
Die beiden Männer hatten jedoch Erfahrung mit Ausreißern und blinden Passagieren. Einer stellte Elsie ein Bein, und als sie stolperte, fiel sie dem anderen Angestellten direkt in die Arme.
»So geht das nicht, meine Dame«, rief er und stöhnte im nächsten Moment auf, weil Elsie ihm mit den Fingernägeln ins Gesicht fuhr.
»Ich hoffe, Sie haben Handschellen dabei«, sagte Gregor zu dem Gendarm.
Der nickte. »Die habe ich, und so, wie diese Diebin sich aufführt, sind die auch nötig. Haltet das Weib fest!« Die beiden Männer von der Reederei reagierten sofort. Bevor Elsie sich’s versah, waren sie an den Handgelenken gefesselt, und der Beamte wandte sich mit selbstgefälliger Miene an Lore.
»Die Diebin wäre festgenommen. Soll ich sie aufs Revier bringen?«
Lore wollte schon zustimmen, sagte sich dann aber, dass es zu lange dauern würde, bis die Behörden in Berlin von der Verhaftung erfuhren. Außerdem war sie keineswegs sicher, ob von Bucher die Sache wichtig genug nehmen würde, um eine Überstellung nach Berlin anzuordnen. Daher schüttelte sie den Kopf. »Wenn der Herr Hauptmann nichts dagegen hat, würde ich die Diebin gerne nach Berlin mitnehmen und dort den Behörden überstellen. Sie können inzwischen ihr Gepäck sicherstellen und später ebenfalls nach Berlin schicken.«
Der Gendarm sah Gregor fragend an.
Weitere Kostenlose Bücher