Aprilgewitter
grauste es davor, in die Nässe hinausgehen zu müssen, doch ihr blieb nichts anderes übrig. Da ihr Magen knurrte, warf sie einen kurzen Blick in die Küche. Elsie hatte nicht mehr aufgeräumt, und so lagen noch Reste des Frühstücks auf dem Tisch. Rasch schnitt sie sich ein Stück Brot und etwas Wurst ab und verließ das Haus.
Kauend eilte sie den Waldpfad entlang in Richtung Kleinmachnow. Der Weg kam ihr kürzer vor als bei der Herfahrt, aber es war sehr unangenehm, in einem dünnen, zerrissenen, weit ausgeschnittenen Kleid durch den Regen zu laufen. Ein wenig ärgerte sie sich, dass sie ihre Reisetasche zurückgelassen hatte. Das Schultertuch darin hätte sie gut gebrauchen können. Doch umkehren und womöglich dem Leutnant in die Hände fallen wollte sie auf keinen Fall.
Von Kleinmachnow aus lief sie Richtung Zehlendorf. Unterwegs überholte sie ein Fuhrknecht mit Pferd und Wagen. Als sie ihn bat, sie mitzunehmen, spie er nur aus und fuhr weiter.
Es wäre für Lenka einfacher gewesen, im nächstgelegenen Bahnhof in den Zug nach Berlin zu steigen. Doch da sie davon ausgegangen war, dass die Männer sie nach dem Wochenende wieder zurückbringen würden, hatte sie kein Geld eingesteckt. Schwarzzufahren aber wagte sie nicht. Entdeckte der Kondukteur sie, würde er die Schutzleute rufen, und dann käme sie umgehend als Landstreicherin ins Gefängnis.
Daher ging sie die gesamte Strecke bis zur Stallschreiberstraße zu Fuß und erreichte das
Le Plaisir
kurz vor Einbruch der Dämmerung. Mit letzter Kraft quälte sie sich die vier Stufen zum Eingang hoch und schaffte es kaum mehr, den Klopfer zu bedienen. Als Anton öffnete, taumelte sie ihm halb bewusstlos in die Arme.
Zuerst erkannte er sie nicht und wollte sie wieder ins Freie schieben. Dann starrte er sie an, stützte sie und stieß die Tür mit der Ferse ins Schloss. »Madame!«, rief er. »Frau Pfefferkorn! Rasch, Lenka ist wieder da!«
»Lenka?« Hede steckte verwundert den Kopf in den Vorraum, sah das vor Nässe triefende Mädchen und eilte mit einem Aufschrei zu ihr.
»Bei Gott, was ist denn mit dir geschehen? Rasch, bringt sie in die Küche! Und ihr zwei holt trockene Kleidung und Handtücher! Wir müssen sie frottieren, damit ihr warm wird und sie sich keine Lungenentzündung holt. Außerdem braucht sie dringend einen heißen Grog.«
Hedes befehlsgewohnte Stimme brachte die Mädchen dazu, ihre Anweisungen eilig auszuführen. Dann versammelten sich alle in der Küche und vor der geöffneten Tür auf dem Flur, um möglichst alles mitzubekommen. Als Lenka sich mit Hedes Hilfe aus ihrer Kleidung schälte und nackt dastand, konnten sie die Striemen sehen, die Elsies Hiebe hinterlassen hatten.
Die Empfindsameren unter den Mädchen kreischten auf, doch Hede gebot ihnen zu schweigen und reichte Lenka den Grog. »Wie ist das geschehen? Waren das von Palkow und seine Freunde?«
Lenka schüttelte den Kopf. »Das war Elsie! Sie hat mich mit von Palkows Hilfe in die Falle gelockt, um sich, wie sie sagte, für die Demütigungen zu rächen, die sie hier erfahren hat. Danach hat sie mich den beiden Männern überlassen und sie aufgehetzt, mich wüst zu traktieren. Was ich für die Kerle tun musste, will ich lieber nicht sagen!«
Lenka starrte Hede mit brennenden Augen an. »Ich werde nicht mehr als Hure arbeiten! Eher gehe ich ins Wasser.«
»Jetzt beruhige dich erst einmal. Eine von euch holt das Verbandszeug. Wir wollen doch sehen, wie wir diesen Striemen zu Leibe rücken können. Hast du Hunger?« Die letzte Frage galt Lenka, die eifrig nickte.
»Ich habe heute nur ein Stückchen Brot und etwas Wurst zu mir genommen und bin von Kleinmachnow bis hierher durch den Regen gelaufen.«
»Das sind fast dreißig Kilometer«, raunte eine der Huren ihrer Nachbarin zu.
Hede war außer sich vor Zorn. »Ich würde diesen von Palkow am liebsten verklagen. Doch kein Richter wird die Beschwerde einer Hure annehmen.«
Da brach alles aus Lenka heraus: »Elsie hat den russischen Fürsten und Hanna im Auftrag des Majors von Palkow erschossen und die Tatwaffe mit Herrn von Trettins Pistole vertauscht.«
Hede riss es herum. »Was sagst du da?«
»Ich habe es mit eigenen Ohren gehört. Die beiden hatten mich eingesperrt, aber ich konnte aus dem Zimmer entkommen und sie belauschen. Der Major schickt Elsie nach Amerika. Gestern hat er ihr Geld gegeben und will ihr folgen, wenn er eine große Sache zum Abschluss gebracht hat. Das wird bestimmt nichts Gutes sein!«
Hede nickte
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