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Aprilgewitter

Titel: Aprilgewitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lorentz Iny
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im Empfangssalon, trank Kaffee und aß ein Schnittchen, das eines der Lehrmädchen zubereitet hatte. Mary kontrollierte inzwischen das fast fertige Prachtkleid, lobte die ausgezeichneten Nähte und Applikationen. Im gleichen Atemzug aber brachte sie ihre Befürchtung zum Ausdruck, Frau von Stenik würde das Kleid vielleicht doch nicht gefallen.
    Schließlich wurde Lore es zu dumm. »Wenn ihr das Kleid nicht gefällt, soll sie sich eins malen!«
    Mary schüttelte missbilligend den Kopf. »Das verstehst du nicht, Laurie. Wenn diese Dame zufrieden ist, werden die zahlungskräftigen Kundinnen unseren Salon überrennen. Sollte sie das Kleid jedoch zurückweisen, ist unser Ruf in diesen Kreisen ruiniert, und uns bleiben nur die bürgerlichen Damen, die gerade einmal einen Bruchteil jener Summen für ihre Garderobe ausgeben können.«
    Noch vor wenigen Tagen hatte Lore ähnlich gedacht. Doch nun hatte sie all ihre Kunstfertigkeit in dieses Kleid gelegt und fand es einfach perfekt. Eine Kritik daran, so gering sie auch ausfallen mochte, würde sie verletzen. Da sie dies Mary nicht sagen wollte, wies sie auf einen leeren Stuhl. »Setz dich endlich! Wenn du deine Beine zu sehr belastest, wirst du hier herumhinken, und das macht gewiss keinen guten Eindruck.«
    Zuerst kniff Mary die Lippen zusammen, schalt sich dann aber eine Närrin, weil sie sich beleidigt fühlte. Immerhin hatte sie es allein Lore zu verdanken, dass sie überhaupt wieder gehen konnte. Zu Hause in England würde sie nur mit zwei Stöcken herumhumpeln und gewiss keine so hochrangige Kundin empfangen können wie die Dame, deren Wagen eben auf der Straße vorfuhr.
    »Sie ist da! Bitte verwandle dich in eine Kundin, Laurie«, flüsterte sie und eilte zur Tür. Dabei merkte sie zu ihrem Ärger, dass sie tatsächlich ein wenig hinkte.
    Lore setzte sich bequemer hin, nahm die Tasse zur Hand und blätterte in einem der Modemagazine, die auf dem Tisch lagen. Für ihr Gefühl bot sie genau das Bild einer sich gelangweilt fühlenden Kundin, der eben eine andere, wichtiger erscheinende Dame vorgezogen wurde.
    Unterdessen trat Frau von Stenik ein und sah sich naserümpfend um. »Heute haben Sie wohl noch keine Kunden!« Ihre Stimme klang scharf, doch Mary beschloss, es zu ignorieren.
    »Ich habe die anderen Kundinnen gebeten, später zu erscheinen, um mich voll und ganz Ihnen widmen zu können, gnädige Frau!«
    »Und diese da?«, fragte Frau von Stenik und wies auf Lore.
    »Freifrau von Trettin muss in zwei Stunden einen wichtigen Termin wahrnehmen. Daher ist sie bereits jetzt erschienen. Aber ich stehe zunächst natürlich voll und ganz zu Ihrer Verfügung.«
    Heilgard von Stenik hob ihr Lorgnon vor die Augen und blickte Lore an. »So, so, das ist also diese Freifrau von Trettin!« Danach kehrte sie ihr den Rücken. »Und wo ist nun das Kleid?«
    »Es liegt im Anprobezimmer für Sie bereit!« Das hochmütige Auftreten der Kundin zerrte an Marys Nerven, doch in der Hafenstraße in Harwich, in der sie aufgewachsen war, hatte sie gelernt, dass es nichts brachte, eine Kränkung mit gleicher Münze zurückzuzahlen. Daher bat sie die Kundin in aller Ruhe, mit ihr zu kommen.
    Beim Anblick des über eine Schneiderpuppe drapierten Kleides leuchteten die Augen der Dame auf. Trotzdem ging sie um die Puppe herum und prüfte jede Handbreit der Arbeit. Sie merkte jedoch rasch, dass sie nicht das Geringste auszusetzen fand. Beinahe war sie enttäuscht, denn sie liebte es, ihre Schneiderinnen, Hutmacherinnen und andere, die für sie arbeiteten, so zu kritisieren, dass sie vor ihr auf dem Boden krochen. Doch diese Engländerin arbeitete so gut, dass sie keinen Streit vom Zaun brechen wollte.
    »Nun, ganz nett«, meinte sie daher und sprach damit ein Lob aus, das noch keine Schneiderin von ihr gehört hatte.
    Lore, die jetzt an der Tür stand und scheinbar gelangweilt zusah, schnaubte leise und sagte sich, dass sie sich für diese impertinente Frau nicht mehr abmühen würde.
    Derweil rief Mary zwei ihrer Angestellten zu sich und bat die Dame, ihr Kleid abzulegen und das neue anzuprobieren. Als Frau von Stenik schließlich in ihrem neuen Festgewand dastand, musste Lore sich das Lachen verkneifen. Die Frau glich darin ihrem Dienstmädchen Jutta wie ein Zwilling dem anderen.
    Frau von Stenik bekrittelte noch dieses und jenes, aber Lore war sich sicher, dass sie das Kleid bei ihrem nächsten Besuch ohne jede Änderung als »ganz hübsch« bezeichnen und mit nach Hause nehmen würde.
    »Und

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