Aprilgewitter
was sagen Sie zu diesem Kleid, Frau von Trettin?«, fragte Mary in der Hoffnung, von Lore moralische Unterstützung zu erhalten.
»Ganz hübsch! Für eine Dame mittleren Alters bestens geeignet.« Noch während sie es sagte, hätte Lore sich am liebsten auf die Zunge gebissen, unbewusst hatte sie die affektierte Sprechweise der Kundin nachgeäfft.
Diese blickte sie verärgert an. »Die Freifrau von Schneiderin scheint wirklich vom Fach zu sein!«
Mary erbleichte und sah Lore erschrocken an. Diese hätte es Frau von Stenik am liebsten mit gleicher Münze heimgezahlt, rang sich dann aber ein spöttisches Lächeln ab.
»Madame scheinen über meine Herkunft ja gut informiert zu sein. Doch muss ich gestehen, dass ich mich nicht schäme, die Enkelin des Freiherrn Wolfhard Nikolaus von Trettin auf Trettin zu sein, und auch nicht dafür, das Schicksal der Armut mit diesem geteilt zu haben, nachdem sein Neffe Ottokar mit Hilfe willfähriger Richter das Gut Trettin an sich gebracht hatte!«
»Sie! Den willfährigen Richter lasse ich mir nicht gefallen. Mein Neffe Theodor war Vorsitzender dieses Gerichts«, fuhr die andere auf.
»Er
war
es! Und wo ist er nun?«, fragte Lore süffisant.
Die Kundin öffnete den Mund, überlegte es sich dann aber anders. Sie wandte sich an Mary und herrschte diese an: »Ich will die Änderungen bis morgen erledigt haben. Die Großherzogin von Hessen-Darmstadt veranstaltet am Abend einen Ball, und dazu will ich es tragen.« Nach diesen Worten rauschte sie ohne Abschied davon und ließ Mary ratlos und Lore im Zustand fortgeschrittener Erheiterung zurück.
»Was hatte die Dame auf einmal?«, fragte Mary.
»Ihr Neffe Theodor, von dem sie eben sprach, wurde im letzten Jahr in den vorläufigen Ruhestand geschickt. Einige seiner Urteile sind seinen Vorgesetzten doch eigenartig vorgekommen.«
»Woher weißt du das?«
»Von Caroline, sprich dem Fräulein von Trepkow. Frau von Steniks Neffe Theodor zählte nämlich zu jenen, die die Versteigerung ihres väterlichen Gutes mit besonderer Energie betrieben haben. Er hatte allerdings Pech, denn ein hoher Herr der preußischen Regierung hat mehr geboten als er.« Obwohl Lore sich immer noch über die Frau ärgerte, musste sie lachen.
Sie umarmte Mary, die konsterniert vor ihr stand, und küsste sie auf die Wangen. »Kopf hoch, meine Liebe! Diese Dame wird es nicht wagen, uns an den Karren zu fahren. Dafür hat sie viel zu viel Angst, es könnte wegen ihres ebenso bestechlichen wie gierigen Neffen zum Skandal kommen. Wahrscheinlich wird sie auch keine Gerüchte mehr über mich verbreiten. Zwar verachten die Damen der Gesellschaft jene, die sich mit ihrer Hände Arbeit ernähren müssen, doch eine Aschenputtelgeschichte von einem armen Mädchen, das mit ihrem Großvater in einer kleinen Hütte im Forst leben muss, weil diese von seinem eigenen Neffen von seinem Besitz vertrieben wurde, würde die Reputation ihres Verwandten und damit auch die ihre arg beschädigen.«
»Du glaubst also, dass du doch noch Zugang zu diesen Kreisen bekommst?«, fragte Mary hoffnungsvoll.
Lore zuckte mit den Achseln. »Ich weiß es nicht! Berlin ist nicht Bremen. Dort vermochten mir nicht einmal Ermingarde Klampts Hetzereien zu schaden. Es ist bedauerlich, dass August Grünfelder ausgerechnet in Berlin Bankier ist. In Bremen wäre ich gerne geblieben!« Mit einem Seufzen brach Lore ab, fasste sich aber rasch wieder und forderte Mary auf, mit ihr in den Empfangssalon zu gehen. Dort zeigte sie auf eine Modezeichnung, die ihr gefallen hatte.
»So ein Kleid hätte ich gerne. Auch wenn derzeit keine Aussicht besteht, dass ich irgendwohin eingeladen werde, möchte ich doch vorbereitet sein und nicht in einem meiner alten Kleider erscheinen. Was in Bremen als modisch gelten mag, ist hier in Berlin schon längst nicht mehr – wie sagst du immer so schön –
up to date!
«
II.
D ank der Begegnung mit Frau von Stenik hatte Lore begriffen, dass die Gerüchte über sie nicht von ihrer Bremer Feindin Ermingarde Klampt, sondern von dritter Seite verbreitet wurden. Marys Kundin stammte aus dem Umkreis Ottokar von Trettins, des Neffen ihres Großvaters, der diesen von seinem Gut vertrieben hatte. Zwar hatte Ottokar bereits vor fünf Jahren das Zeitliche gesegnet, doch dessen Ehefrau Malwine lebte noch.
Der Gedanke ließ sie nicht los, und als Fridolin am nächsten Abend zu Hause blieb, brachte sie die Angelegenheit zur Sprache. »Mein Lieber, hast du in letzter Zeit etwas von
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