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Aprilwetter

Aprilwetter

Titel: Aprilwetter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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sich in Grüppchen von der Kirche zum Schloss, sicher eine Delegation aus Ann Arbor, Michigan, der Partnerstadt, oder Teilnehmer irgendeines Kongresses oder Universitätsfestes übers Wochenende.
    Valerio ist alleine im La Storia, er hat schon gefegt, die Tische abgewischt, die Zeitschriften sortiert für den Lesezirkelmann, der sie am Montag durch neue ersetzen wird, die Aschenbecher geleert und in die Spülmaschine geräumt. Er verabschiedet sich und geht, Benno hat länger gebraucht als versprochen, und Valerio muss hetzen, seine Verabredung hat schon zweimal angerufen.
    Südstaatenhitze, denkt Benno, so fühlten sich die Nachmittage auch in Jackson oder Memphis an. Er macht sich einen Espresso macchiato und telefoniert mit Peter, der immer am Wochenanfang morgens um halb neun zum Auffüllen kommt. Die letzte halbe Stunde liest Benno in einer alten Zeitschrift, aber er kann sich nicht konzentrieren, er hat Musik im Kopf, den Baggersee, Christine, aber nichts bleibt haften, kein Gedanke hält still, alles wischt nur über irgendwas hinweg, ein Bild über das andere, ein Duft oder Klang über eine Szene oder ein Geräusch – endlich ist es sechs, und er kann gehen.
    —

Daniel ist noch immer nicht zu erreichen, nur der Anrufbeantworter meldet sich, also nimmt Benno ein Handtuch über die Schulter, packt die Tramezzini und die Badehose in eine Plastiktüte und zieht die Tür hinter sich ins Schloss. Einen Moment überlegt er, ob er die Treppe hochsteigen und an der Wohnungstür klingeln soll, aber dann nimmt er den Weg nach unten und klingelt an der Haustür.
    Es ist wie im Stau oder an der Supermarktkasse, man entscheidet sich immer für die falsche Schlange. Er hört ihre Stimme durch die Sprechanlage: »Kannst du hochkommen?« Sie klingt klein und matt.
    »Was ist los?«, fragt er an der Tür, ein bisschen außer Atem, denn er hat sich beeilt und zwei Stufen auf einmal genommen. Sie sieht blass aus. »Ich bin irgendwie krank«, sagt sie, »ich glaub, ich kann nicht zum See.«
    »Willst du allein sein?«
    »Nein.«
    Sie hat sich beim Joggen einen Sonnenstich eingefangen, hat leichtes Fieber und Kopfweh, alle Jalousien sind heruntergelassen, die ganze Wohnung ist helldunkel gestreift. Sie streckt sich auf dem Sofa aus, nimmt ein feuchtes Tuch und legt es auf ihr Gesicht. »Bleibst du ein bisschen da?«, fragt sie, und es klingt wieder so klein und ängstlich wie eben durch die Sprechanlage. »Ich werd kindisch, wenn ich krank bin. Ich will nicht allein sein.«
    »Soll ich dir was vorlesen?«
    »Nein. Nur da sein. Und reden.«
    Aber sie reden nichts. Benno sitzt im Sessel und schaut sich die Lichtstreifen auf dem Boden an, Christine liegt da, streckt irgendwann ihre Hand aus nach ihm, er sieht es, nimmt die Hand und hält sie eine Weile, bis ihm der Arm von der ungewöhnlichen Haltung wehtut und er wieder loslässt.
    »Tut mir gut, dass du da bist«, sagt sie.
    Und dann vergehen wieder Minuten, in denen sich Benno die Stille anhört – es ist keine wirkliche Stille, denn von draußen dringen ein paar Verkehrsgeräusche und hin und wieder Stimmen herein, aber entfernt, durch ein gekipptes Fenster in einem anderen Raum, Daniels zukünftigem Arbeitszimmer, in dem bis jetzt nur Schreibtisch und Regale stehen und Kartons voller Bücher und CDs.
    »Ist das da unten ein Versteck?«, fragt sie und hebt dafür das Tuch auf ihrem Gesicht an.
    »Jede Wohnung ist ein Versteck«, sagt Benno.
    »Nicht die Wohnung, das Café.«
    »Da bin ich doch den ganzen Tag unter Leuten.«
    »Die alle nichts von dir wollen.«
    Er sagt nicht, was ihm auf der Zunge liegt, nämlich: doch, sie wollen Kaffee, denn sie hat ja recht. In der kurzen Zeit, die sie jetzt hier ist, hat sie erfasst, worum es geht: sich zu schützen, zu maskieren, den Neuanfang nicht zu gefährden und in einer Art Energiesparmodus durchs Leben zu kommen. Sie legt das feuchte Tuch zur Seite.
    »Worauf willst du eigentlich raus?«, fragt Benno und weiß gleichzeitig, dass er die Antwort nicht hören will. Aber jetzt sind sie schon da gelandet, jetzt geht es nur noch vorwärts wieder raus aus der Enge dieses Wortwechsels, der Ecke, in die sie ihn mit dieser Frage manövriert hat – das Inquisitorische an ihr ist neu, denkt er, das hatte sie früher nicht.
    »Du kommst mir vor wie abgeschaltet, wie auf Standby«, sagt sie leise, »oder wie auf der Flucht. Wie einer, der sich nicht erlaubt, die Nase aus dem Fenster zu stecken, weil er fürchtet, entdeckt oder erkannt oder

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