Aprilwetter
alles beisammen hätte und der Transport dran sei, sagte sie. Im grünen Haus herrschte Leerlauf immer dann, wenn sie nicht da war.
Benno fragte sich immer wieder, ob Daniel mit Christine geschlafen hatte, aber er fragte nur sich, nicht Christine, nicht Daniel. Waren sie zu dritt, dann versuchte er, aus ihrem Verhalten zu lesen, aber es blieb wie in Frankreich: Christine war inzwischen die Verbindung zwischen ihnen geworden – war sie da, war alles einfach und fühlte sich richtig an –, sie zog Daniel nicht vor, separierte sich weder mit ihm noch mit Benno, hielt den Kontakt immer zu beiden lebendig, und in diesen Momenten fühlte sich Benno auch wie früher eins mit Daniel, wusste, was der dachte, wollte, fühlte oder fürchtete, und wusste, dass es Daniel genauso ging. Christine war eine Art Adapter geworden für die Benno-Daniel-Einheit, die bisher ohne funktioniert hatte.
Und sie strebte keinen anderen Zustand an. Wie in Frankreich erlosch ihr Esprit und alles Strahlen, wenn sich für Momente oder Minuten ein Zusammensein zu zweit ergab. Es waren nie längere Zeiträume. Immer nur Momente oder Minuten.
—
Sie schafften es gerade noch, den Umzug zu bewerkstelligen, bevor Christine wieder arbeiten musste. Danach räumten Daniel und Benno ihr Bücherregal ein – sie hatte erstaunlich viele Bücher und nur wenige CDs, zogen eine Rigipswand zwischen ihrem Zimmer und dem Esszimmer ein, strichen sie weiß und hängten ihre Bilder auf, so, wie Christine sie am Abend zuvor an die Wand gelehnt hatte. Als alles fertig war, feierten sie den Einzug mit einem selbst gekochten Essen, bei dessen Zubereitung Christine die Führung übernahm und Benno und Daniel nur die Handlanger abgaben: Ratatouille mit Kartoffeln und Salat und hinterher Eis mit Birnenkompott. Sie deckten den Tisch im Garten und saßen dort mit einer Flasche echtem, teurem Champagner bis tief in die Nacht.
Weil Christine sich das wünschte, spielten sie einige Stücke, bis irgendwann eine zwar nicht unfreundliche, aber sehr energische Nachbarstimme hinter der dichten Ligusterhecke erklang: »Das ist sehr schön, aber ich muss jetzt schlafen.«
»Entschuldigung«, sagte Daniel halblaut in Richtung der Hecke, und »Gute Nacht«, sagte Benno. Sie legten die Gitarren in ihre Koffer und überspielten die entstandene teils verschwörerische, teils aber auch verlegene Stimmung, indem sie ihre Gläser erhoben und anstießen.
»Wann reden wir eigentlich mal über alles?«, fragte Christine, ohne dabei einem von ihnen ins Gesicht zu schauen.
»Im Reden sind wir nicht so stark«, sagte Daniel.
»Über was alles denn?«, fragte Benno.
»Uns. Uns drei. Was wir wollen.«
»Das merken wir dann schon«, sagte Daniel, und Benno hatte den Eindruck, es klänge eher ängstlich als gelassen. Aber er schwieg, denn er war sicher, das, was er wollte, käme nicht infrage. Er wollte Christine, und er wollte sie keinesfalls mit Daniel teilen. Hätte er Zeit gehabt, länger in sich hineinzuhorchen, dann wäre ihm vielleicht sogar bewusst geworden, dass er auch Daniel nicht mit Christine teilen wollte. Er wollte mit Daniel ohne Adapter auskommen und mit Christine alles erleben, was sich unter der Überschrift Liebe in einer geheimen inneren Kladde an Träumen und Phantasien angesammelt hatte.
Aber diese Zeit hatte er nicht, denn Christine sagte jetzt, wieder den Blick nach irgendwo gerichtet, ihr eben ausgetrunkenes Glas in der Hand, ohne es abzustellen, und mit einer nervösen Gebärde die andere Hand im Haar versteckt: »Vielleicht weiß ich überhaupt nicht, was ich will.«
Und dann, nach einer Weile, in der niemand sprach und keiner des anderen Augen suchte: »Oder ich trau mich nicht, es zu sagen.«
Und wieder eine Weile später: »Oder zu wollen.«
—
Am nächsten Tag fuhren sie nach München, um das Album zu mastern. Den Mix hatten sie auf zwei altmodischen Betamax-Kassetten in einem Metallköfferchen auf dem Rücksitz liegen, Wäsche für zwei Nächte dabei, und sie fuhren abwechselnd, Benno bis Ulm und Daniel den Rest der Strecke.
Sie hörten ihr eigenes neues Album, dann zum Vergleich das letzte von Towner-Abercrombie, dann wieder ihr eigenes, dann ab Augsburg Hejira von Joni Mitchell. Vielleicht weil er nicht am Steuer saß, sich auf nichts weiter als die Musik konzentrieren musste, hörte Benno zu, wie man es sonst nur mit Kopfhörern kann. Die souveränen und zugleich gewagten Bassvolten von Pastorius, die Flageoletts von Larry Carlton und das stoische,
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