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Aprilwetter

Aprilwetter

Titel: Aprilwetter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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im Verglühen erst sichtbar wird und nur die Strecke durch die Atmosphäre für seinen glanzvollen Auftritt zur Verfügung hat. Auch Kitsch, denkt er, aber mir egal. Wenigstens spür ich jetzt was.
    Auch Ärger auf Daniel steigt in ihm auf. Hat der so lange an ihr herumgebaggert, bis sie endlich weich wurde? Obwohl sie durch ihren Auszug doch deutlich gezeigt hatte, dass er nicht ihr Ziel gewesen war? Hätte Daniel nicht als wirklicher Freund auf die Suche nach Benno gehen müssen, um ihm zu sagen, dass Christine frei für ihn war? Stattdessen hat er sich zur zweiten Wahl gemacht und die schöne Frau eingesammelt, weil sie übrig war. Schwach.
    Noch immer tut Benno nichts, als einfach dazustehen, die Arme rechts und links an sich herunterhängen zu lassen und in den Hausflur zu horchen, ob Christine oben ihre Tür öffnet, herunterkommt, ihre Arme um ihn legt und irgendetwas sagt oder tut, um seinen Ärger, der sich inzwischen in Selbstmitleid verwandelt hat, verschwinden zu lassen. Aber sie kommt nicht. Und irgendwann schließt er die Tür.
    —
    Janet und ihre Freunde schafften es nach und nach, Bennos teils wehleidige, teils aber auch snobistische Touristenarroganz, diese lächerliche europäische Überheblichkeit, in die er sich, unbemerkt, wie er glaubte, immer wieder zurückzog, zum Verschwinden zu bringen. Mit ihrem Witz und ihrer Intellektualität zeigten sie ihm ein ganz anderes Amerika als das, von dem er sich bisher innerlich so leicht hatte fernhalten können. Ein Architekt, der Holzhäuser baute, seine Frau, die eine Eventagentur betrieb, ein Lehrerehepaar, ein Arzt, ein Schriftsteller, die Bürgermeisterin einer nahe gelegenen Kleinstadt und ein Kollege von der Stadtverwaltung trafen sich nahezu jede Woche bei Janet, kochten gemeinsam, diskutierten, tranken Wein, sahen sich Filme auf Video, später auf DVD an, machten kleine Touren miteinander oder besuchten Konzerte. Mit ihnen hörte er Paul Simon, Mark Knopfler und Randy Newman.
    Benno begriff, dass er bisher nur den provinziellen Teil des weißen Amerika kennengelernt hatte, das Countrypublikum. Das war etwa so, als glaube er, die Deutschen nicht zu mögen, nachdem er in den Bierzelten Bayerns auf sie gestoßen war – am urbanen und weltläufigen Amerika, dem Amerika, dessen Bücher, Musik und Filme sein Weltbild geformt hatten, war er ohne Seitenblick vorübergegangen.
    Auf einmal war dieses Land gastlich, großzügig, interessant und voller Energie für ihn – er fühlte sich aufgenommen und verschwendete kaum noch einen Gedanken an das ferne und farblos gewordene Deutschland.
    Als Musiker war er allerdings festgelegt auf Folkrock und New Country. Das, was er konnte, war in einer normalen Rockband oder beim Blues, Soul, Jazz oder wo auch immer sonst nicht zu gebrauchen. Er war kein Solist und kein Muskelmucker, sondern ein filigraner Netzknüpfer, ein Ensemblegitarrist, dessen rhythmischer Horizont inzwischen nicht mehr über Drei- und Viervierteltakt hinausreichte. Darin war er allerdings inzwischen gut, und die Band, die er mit Warren, Nick und Stephen und einer Kontrabass spielenden Sängerin namens Kate zusammen hatte, konnte sich die Finger wund spielen, so gefragt waren sie auf Galas, Geburtstagen, Hochzeiten und immer öfter auch in den Demostudios.
    Dass er nichts weiter als ein Dienstleistungsmusiker war, gefiel Benno – ein Handwerker zu sein, oft genug auch Kitsch und sentimentale Herzverschmutzung mitzuverantworten, machte ihm nichts mehr aus, er hatte gelernt, die seltenen besonderen Momente zu genießen, sich innerlich zu verneigen, wenn eine ähnliche Magie wie die, die er mit Daniel erzeugt hatte, sich zufällig ergab, sei es, weil die Band sich plötzlich spürte und gegenseitig beflügelte, sei es, weil ein Publikum das gewisse Etwas mitgebracht hatte. Es war ein Geschenk, reine Glücksache, und überraschte ihn selbst umso mehr, als er gelernt hatte, darauf nicht mehr aktiv hinzuarbeiten.
    Ein solcher Moment ereignete sich auf einem Stadtfest in Chattanooga, als sie zum ersten Mal Road to Glory , einen alten Song der Ozark Mountain Daredevils, spielten, den Nick ausgegraben und vorgeschlagen hatte – es war am Vormittag, und der Himmel riss auf, genau in dem Augenblick, als nach einem langen Intro, das nur aus einem hohen, sirrenden A auf der Geige, der Mandoline und der akustischen Gitarre bestand, die Band einsetzte und Kate die erste Zeile sang. Mit dem Strahlen des D-Dur-Akkords breitete sich auch das Strahlen der Sonne

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