Aqua
Walde betrat er die Küche. Dort wurde ihnen am Tisch ein frisch aufgebrühter Tee angeboten. Kanne, Tassen, Löffel und Zucker standen schon parat.
»Wie ich Ihnen am Telefon bereits sagte«, übernahm Grabbe die Initiative, »haben sich aus unseren Ermittlungen noch ein paar Fragen ergeben. Danke, dass Sie sich Zeit für uns nehmen konnten.« Er versuchte sich zu erinnern, ob Isabelle Neumann am Samstag auch schon so aufrecht gesessen hatte wie heute. Diesmal war sie leicht geschminkt. Zumindest betonte sie mit Rouge ihre hohen Wangenknochen.
»Keine Ursache.« Sie legte eine Hand um ihre Tasse.
»Ihr Mann hat am Wochenende einen Kongress in Wien besucht. Können Sie uns dazu Genaueres sagen?«
»Thema ist die Solidarität in der Ökonomie oder so ähnlich. Der Kongress endet heute und findet an der Universität für Bodenkultur in Wien statt. Dort hat mein Mann ein Jahr lang studiert.«
»Und wann ging die Veranstaltung los?«
»Am Samstag, glaube ich.«
»Können Sie mir die Mobilnummer Ihres Mannes geben?«
Sie stand auf, nahm einen leeren Zettel und einen Stift aus einem Kästchen an einer kleinen Wandtafel, an der Notizen von runden Magneten gehalten wurden. Sie schrieb die Nummer auf, gab ihm den Zettel und setzte sich wieder. Wie es Grabbe schien, tat sie es sehr behutsam, in Gedanken versunken. Es fiel ihm schwer, die zusammengehefteten Seiten aus seiner schmalen Tasche zu ziehen. Und noch schwerer, sie der Frau zu zeigen, die, das wurde ihm jetzt klar, am Samstag zwar unter Schock gestanden, aber auch großes Leid empfunden hatte und anscheinend weiterhin trauerte.
»Diese Korrespondenz war auf dem Rechner von Herrn Bröding.« Walde übernahm die Initiative, indem er Grabbe den Packen aus der Hand nahm und vor Isabelle Neumann auf den Tisch legte.
»Wie kommen Sie … wo haben …« Sie schien augenblicklich zu erfassen, um was es sich handelte.
Walde schaute sie schweigend an.
»Sagen Sie ihm bitte nichts davon«, bei diesen Worten fasste sie sich mit den Fingerspitzen der rechten Hand an die Augenbrauen, als wolle sie ihre Augen vor dem Anblick der Papiere verschonen. »Wenn … dann soll mein Mann es von mir erfahren.«
Walde nahm seine Tasse. »Er wusste nichts von Ihrer Beziehung zu Thomas Bröding?«
»Davon wusste niemand etwas.«
»Und wie lange waren Sie schon … hatten Sie eine Beziehung?«
»Schon länger.«
»Seit ihr Mann in Berlin arbeitet? Wie lange ist das der Fall?«
»Er ist seit über einem Jahr dort … das mit Thomas und mir hatte schon vorher …«
Waldes Telefon klingelte. »Einen Moment bitte«, entschuldigte er sich, als er es aus der Tasche seiner Jacke nahm, die er neben sich auf den freien Stuhl gelegt hatte. Gabi meldete sich.
»Ich rufe dich zurück«, sagte er und steckte das Telefon wieder ein.
Grabbe führte die Befragung fort. »War das der Grund, warum er dort die Stelle angenommen hat?«
»Nein.« Sie nahm die Hand herunter und setzte sich wieder gerade auf. »Jedenfalls glaube ich das nicht.«
Im Wagen rief Walde seine Kollegin im Präsidium zurück. Sie ließ ihn kaum zu Wort kommen, als sie aufgeregt berichtete: »Roth schießt quer. Er verweigert uns den Durchsuchungsbeschluss für Tele Mosel und Stiermann ist auf hundertachtzig. Es wäre gut, wenn du so bald wie möglich hier antanzen würdest.«
»Erst müssen wir zu Hansen.«
»Das kannst du nicht machen …«
»Einen Moment!«, unterbrach sie Walde, weil Grabbe neben ihm wie ein um Aufmerksamkeit heischender Schüler mit den Fingern schnippte und gleichzeitig den Kopf schüttelte. »Ich muss zurück ins Präsidium …«
Walde nahm das Telefon wieder hoch. »Kannst du in ein paar Minuten rüber zum Paulusplatz kommen?«
»Spinnst du nun total? Und dann noch bei dem Wetter!«
»Okay, ich warte dort«, ignorierte Walde ihren Einwand.
Es waren zwar kaum mehr als zweihundert Meter vom Präsidium bis zum Paulusplatz, aber Walde musste fast zehn Minuten unter dem Portal der Kirche ausharren, wo ihn Grabbe abgesetzt hatte, bis Gabi endlich vorfuhr und dabei eine Pfütze über den Bordstein schwappen ließ.
»Was gibt’s?«, fragte sie, als er sich auf dem Beifahrersitz niedergelassen hatte.
»Fahr bitte los.« Er hielt die Hände in die warme Luft, die aus den Schlitzen im Armaturenbrett strömte.
Wenige Meter weiter musste sie an einem Fußgängerüberweg anhalten, wo sich eine endlos scheinende Karawane von Schülern in Zeitlupe auf die andere Straßenseite bewegte.
»Legst du es
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