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Aqua

Aqua

Titel: Aqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martini
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nah, dass sie für einen Moment glaubte, jemand sei im gleichen Raum. Dann sah sie vor dem Fenster zwei Männer mit gelben Sicherheitshelmen und schweren Werkzeuggürteln, die letzte Hand an die Notstege legten. Sie ging hinaus ins Treppenhaus, wo sie den großen Vicus über den dunklen Holzfußboden zur Seite rückte, bevor sie die Fenstertür öffnete. Als sie einen Fuß auf die mit Betonresten behafteten Bohlen setzte, hielt sie sich mit der linken Hand am Rahmen fest. Mit der rechten griff sie draußen nach dem Aluminiumgeländer. Links von ihr schauten zwei Männer auf, die Dübel in die Wand verschraubten. Da sie keine Einwände zu haben schienen, trat sie an das Geländer heran. Sie atmete tief ein. Die Luft schien etwas wärmer und trockener geworden zu sein. Aus dem überdachten Bereich streckte sie die Hand nach vorne – sie blieb trocken. Zaghaftes Gezwitscher war zu hören. In dem noch kahlen Baum schräg gegenüber war kein Vogel zu sehen. Immer neue Varianten des Liedes wurden von dem kleinen versteckten Sänger angestimmt. Konnte der Grund dafür, dass ihr die Straße plötzlich so anders erschien, nur darin liegen, auf einer Art Balkon vor dem Haus zu stehen?
    Als sie von unten den Motor hörte, wurde ihr bewusst, was so anders war. Die Geräuschkulisse der nahen Uferstraße, die sie so verinnerlicht hatte, dass sie sie überhaupt nicht mehr wahrnahm, fehlte. So konnte sie selbst den Ruf eines kleinen Vogels oder ein einzelnes Motorengeräusch wahrnehmen. Sie schaute hinunter auf die Straße, wo ein Kleinbus langsam rückwärts durch die sehr schmal gewordene Straße manövriert wurde. Weiter unterhalb stand eine Gruppe älterer Leute, teils auf Roilatoren gestützt, vor dem Altenheim.
    »Er ist ab jetzt freigegeben«, rief ihr einer der Gerüstbauer zu.
    »Wer?«, fragte sie, während sie gleichzeitig verstand, was er meinte.
    »Das Ding hier. Der Notsteg.« Er stampfte mit einem seiner Schuhe auf. Die Erschütterung setzte sich über die Metallstreben fort, das Geländer erzitterte in ihrer Hand und ließ sie ihr Gewicht nach hinten verlagern, um notfalls schnell zurück an die sichere Fenstertür zu gelangen.
    Von links näherte sich ein älterer Mann, bekleidet mit einer Fleeceweste über einer Jogginghose. Er musste aus einem der Häuser nebenan gekommen sein, bewusst gesehen hatte sie ihn hier bisher noch nicht. Sie trat näher an das Geländer heran, um ihn vorbei zu lassen.
    »Geht schon, danke«, sagte der Mann, als er Richtung Feldstraße an ihr vorbei ging. »Man muss ja mal gucken, ob das auch funktioniert, hoffentlich ist das hier nachher auch hoch genug. Es kommt ja schon.«
    Hatte sie das Wasser vorhin übersehen, weil sie von der Seniorengruppe abgelenkt worden war, die sich langsam auf den Wagen mit dem noch laufenden Motor zubewegte, dessen Fahrer es nicht bis zu ihnen geschafft hatte und nun die Heckklappe öffnete und erste Taschen entgegen nahm? Vielleicht hatte er auch bewusst an dieser etwas höher gelegenen Stelle gehalten, denn das Wasser kam stetig näher, absolut lautlos, was es noch bedrohlicher wirken ließ. Wie der stumme Fremde im Albtraum, der dem vor ihm flüchtenden Opfer immer näher kommt, ohne seine Schritte zu beschleunigen. Ob das Wasser über die Uferstraße lief oder sich durch den Damm darunter drückte, konnte Vera nicht sehen, aber es hatte seinen Weg gefunden und drängte unaufhaltsam weiter. Als die Rollatoren eingeladen waren und die Fahrgäste Platz genommen hatten, leckte das Wasser bereits an den Hinterrädern.
    Bald würde es ihr Haus erreichen.
    Walde hatte die Meldungen im Radio über das Hochwasser satt, die Pegelstände, die Prognosen über die weitere Entwicklung, die sich überschlagenden Stimmen der aus besonders bedrohten oder bereits überschwemmten Zonen berichtenden Reporter, die Interviews mit Geschädigten, das ganze betroffene Getue kam ihm auf einmal nur noch geheuchelt vor. Das taten sich nur sensationsgeile Leute an, die rundum im Trockenen saßen. Er schaltete zum CD-Player. Den rockigen Titel hatte er noch nie gehört. Mehrstimmiger Gesang, begleitet von opulenten Akkorden auf dem Klavier im Wechsel zu einer steel guitar und einem nur auf Becken geschlagenen Rhythmus. Es war die CD aus Brödings Wagen. Er drehte die Lautstärke höher.
    Der Gesang ging über in ein getragenes Gitarrensolo, begleitet von zwei satt klingenden Gitarren, zu denen er automatisch mit dem Kopf nickte. Walde drehte die Lautstärke weiter auf. Der harte

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