Aqua
heute zu Hause?«
»Papa, wir haben doch Hochwasser«, entgegnete sie in entrüstetem Ton, als habe er von dem Ganzen noch nichts mitgekriegt.
»Wo?«, rutschte ihm heraus, weil er für einen Augenblick Wasser in der Wohnung befürchtete.
»Ach Papa, das ist doch in der Mosel.« Wieder dehnte sie das O. Er stellte sich dabei die kleinen Zähne in ihrem weit offenen Mund vor. »Und im Kindergarten.« Die letzten Worte hörten sich etwas nachdenklicher an.
»Wo ist Mama?«
»Oben.«
»Wo oben?«, fragte Walde, ihre Wohnung verfügte nur über eine Etage.
»Vielleicht schlafen wir da …«
Walde sprang auf. »Sag’ der Mama, ich komme.« Er warf das Telefon auf den Tisch und schnappte sich seine Jacke.
Über den Flur schoben Grabbe und Burkhard Decker einen Rollwagen, voll beladen mit Rechnern, Monitoren, Druckern und einem Wust an Kabeln. Walde drängte sich an ihnen vorbei, besann sich und blieb stehen.
»Ich habe gar nicht gewusst, dass du hier bist.« Grabbe richtete sich aus der gebückten Haltung auf, während Decker den Wagen nun alleine an Walde vorbeischob.
»Ich bin auch gerade erst gekommen und wollte … habe Roth angerufen.«
Die beiden folgten Decker.
»Ja weißt du es denn noch nicht?« Grabbe schaute ihn fragend an. »Wir ziehen wieder ins alte Präsidium.«
»Ist das denn noch frei?« Walde erinnerte sich, wie die Kollegen dort reihenweise über Unwohlsein geklagt hatten. Das Gebäude war für Millionen aufwendig renoviert worden und musste dann doch aufgegeben werden, weil sich der Krankenstand infolge offensichtlich immer noch vorhandener Gebäudegifte nur unwesentlich veränderte.
»Da wollte keiner mehr rein, kannst du dir doch vorstellen. Am Schluss hat selbst Stiermann dort Nasenbluten gekriegt.«
»Und jetzt soll es wieder dahin zurückgehen? Du hattest dich doch sogar krankschreiben lassen?«, fragte Walde.
»Da ist noch alles genau so, wie wir es verlassen haben, nur beim Internetanschluss musste improvisiert werden. Allemal besser als hier abzusaufen. Wird ja wohl nicht für lange sein.« Grabbe schlüpfte in den Fahrstuhl, in dem neben dem Wagen und Burkhard Decker lediglich noch Platz für eine Person war.
Im Treppenhaus kam Walde ein Mann entgegen.
»Herr Kommissar?« Es war Sebastian Engels, der etwas außer Atem war. »Ich wollte es Ihnen lieber persönlich sagen.« Der Mann wirkte, als habe er in der Nacht nicht genügend Schlaf bekommen. »Das verdammte Ding ist nicht zu finden.«
»Kommen Sie in mein Büro.« Das gab Walde Zeit darüber nachzudenken, um welchen verschwundenen Gegenstand es sich handelte. Die Reithosen seines Besuchers ließen ihm die Erinnerung an den Besuch auf dem Reiterhof lebendig werden.
Kaum hatte Engels im Büro Platz genommen, fragte Walde, der keine Zeit zu verlieren hatte: »Worum geht es?«
»Sergej konnte mir heute auch nicht weiterhelfen. Ich kann noch nicht einmal sagen, wie lange das Bolzenschussgerät schon verschwunden ist.« Engels’ Seufzer klang halb resigniert, halb ärgerlich. »Und noch was, Sie werden es sowieso rauskriegen, und bevor Sie falsche Schlüsse ziehen, sage ich es Ihnen besser selbst.« Er holte tief Luft. »Katja und ich hatten eine Beziehung.«
»Ist sie vorbei?«
»Nein … also ich weiß nicht.« Er schüttelte den Kopf. »Zwischenmenschliche Beziehungen folgen keinen festen Regeln. Da gibt es weder eine Logik wie in der Mathematik noch den Schmus à la Rosamunde Pilcher.«
Als Walde nichts sagte, fuhr Engels fort: »Vielleicht war es für Katja genau richtig so, wie es bisher war.«
»Wie meinen Sie das?«
»Mit zwei Männern. Ich weiß nicht, ob ich ihr alleine genüge. Ein Bauer aus der Eifel mit ein bisschen Pferdeverstand ist doch was anderes als ein erfolgreicher Anwalt und angesehener Politiker.«
Nachdem Sebastian Engels das Protokoll mit seiner Aussage unterschrieben hatte, machte sich Walde gleich wieder auf den Weg. An der Ecke des Präsidiums zur Böhmerstraße schaute er zurück zum kaum hundert Meter entfernten Irminenfreihof. Dahinter floss das Wasser über die Uferstraße zwischen den auf gelbes Dauerblinklicht geschalteten Ampeln hindurch. Wie eine lautlose Armee, die nach langer Belagerung endlich die Stadt erobert, drang das Wasser gierig vor, nahm Besitz von Asphalt und Rabatten, schwärmte nach links und rechts aus, als es den Irminenfreihof mit dem Parkplatz vor der Staatsanwaltschaft erreichte. Dort sammelte es sich, um mit dem unablässig fließenden Nachschub weitere
Weitere Kostenlose Bücher