Aqualove
mit dir, das will ich auch.“ Ich war unzurechnungsfähig, irre, persönlichkeitsgespalten. Aber was war in meinem Leben eigentlich noch normal?
„Dann ist doch alles in Ordnung. Sehen wir uns heute Abend?“
Ich überlegte. Ich brauchte Abstand, die Möglichkeit zum Nachdenken. Ich wollte allein sein, ich bekam nur nicht mehr oft die Gelegenheit dazu.
„Morgen“, antwortete ich. „Kino?“
„Alles klar. Ich hole dich ab – acht Uhr.“
„Bye, Alex.“
„Bye, Nia. Ich liebe dich.“
Kant
„‚Blade Runner‘?“, wiederholte ich zum zweiten Mal flüsternd.
„Ich hielt es für passend.“
„Warum?“
Alex sah mich leicht genervt an. „Hör mal, Nia. Können wir uns jetzt bitte in Ruhe den Film ansehen? Er ist ein Meisterwerk.“
Ein fünfzig Jahre altes Meisterwerk. Das nächste Mal würde sie mich wahrscheinlich in eine Eisenstein-Retrospektive zerren. Beleidigt drehte ich mich von ihr weg und starrte auf den Leinwandregen, der ohne Unterlass vom Filmhimmel herunterfiel. Replikanten, Jäger, düstere Kulissen, ich würde nie ein Science-Fiction-Fan werden. Viel zu stylo, viel zu unrealistisch. Unsere Zeit hatte die erdachte Welt bereits überholt. Was wurde eigentlich aus Science-Fiction, wenn es keine Fiktion mehr war? In vielen Dingen war 2034 naiver, altmodischer, weniger finster als Ridley Scotts Vision. Das Unheil unserer Zeit, die Verseuchung von Luft, Wasser und Boden war wie Radioaktivität ein langsames Gift.
„Ich liebe Rutger Hauer.“ Verzückt hatte Alex ihre Hände auf der Brust gefaltet. Erstaunt betrachtete ich ihren Gefühlsausbruch von der Seite.
„Ich dachte, du liebst mich.“
„Außerhalb des Films.“ Das waren schon die ersten Einschränkungen. „Und jetzt höre und lerne!“
Der Abspann lief, die Lampen an der Wand waren wieder angegangen. Ihr grelles, weißes Licht holte uns brutal ins Hier und Jetzt des kleinen, abgewetzten, roten Kinosaals zurück. Es war eines der wenigen Kinos, in denen man nicht mit 4-D-Effekten bombardiert wurde: Geräusche, Geruch, Körpererfahrung durch bewegliche Sitze, das Gefühl des unmittelbaren Dabeiseins. Meine Fantasie reichte durchaus für altmodische, zweidimensionale Bilder aus. Mit blinzelnden Augen starrte ich blind auf die letzten Zeilen des Abspanns. Die anderen beiden Zuschauer hatten den Saal noch im Dunkeln verlassen. Es war klar, dass Alex eine Abspannfetischistin war und die Missachtung der Credits als kulturelle Untat vergleichbar mit Bücherverbrennungen verurteilt hätte. Als ich zu ihr hinübersah, lief ihr eine Träne die Wange herunter.
Wir verließen das Kino durch einen dunklen Notausgang und fanden uns in einer schlecht beleuchteten Nebenstraße wieder. Es regnete, und noch an der schweren Metalltür suchten wir nach unserer Schutzkleidung. Wir schlüpften in die dünnen Kunststoffmäntel und zogen die Schirme unserer Kapuzen tief ins Gesicht.
„2019 gab es jede Menge Regen“, äußerte ich missmutig. „Aber immerhin gab es bei ‚Blade Runner‘ noch keinen PET-Regen.“ Jede Zukunftsvision hatte ihren blinden Fleck.
Es war spät. Nicht mehr viele Leute waren auf den Straßen unterwegs. Ridley Scott hätte hier seine Fortsetzung drehen können. Das Licht der Straßenlampen spiegelte sich auf dem nassen Asphalt. Die Pfützen reflektierten die Scheinwerfer der wenigen Autos wie in einer verspiegelten Dunkelkammer.
Am Ende der Straße war eine kleine Bar, kaum beleuchtet und daher schwer zu entdecken.
„Warm und einladend“ konnte sich der Besitzer nicht auf die Fahnen schreiben. Wir betraten den Raum durch eine schlecht verglaste Holztür. Das Klingeln der über der Tür angebrachten Glocke schien niemanden zu stören. Der Barkeeper lehnte lesend hinter dem Tresen. Einige Stammgäste stierten an der Theke stumm in ihre Gläser. Einige jüngere Gäste saßen angeregt diskutierend an zwei anderen Tischen. Lampenschirme in Form von Küchenreiben warfen das funzelige, diffuse Licht nackter Glühbirnen, die daraus hervorschauten, auf Tische und Theke. Insgesamt konnte man den Raum eher erraten als sehen. Wir suchten uns einen Platz am hinteren Teil der Theke auf zwei wackeligen, schlecht gepolsterten Barhockern, nachdem wir unsere nassen Mäntel an die für schmutzige Schutzkleidung vorgesehenen Haken gehängt hatten.
Der Barkeeper war immer noch in seine Lektüre versunken. Er blätterte tatsächlich in einem Buch. Da ich selbst gern las, wollte ich nicht stören.
„Hey!“ Alex belasteten
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