Aqualove
ich leise zurück.
Einzigartig
Sechs Uhr. O Gott! Ich war noch nie so zeitig für ein Rendezvous aufgestanden. Für einen Sonntagmorgen war es definitiv zu früh. Eine halbe Stunde später hatte ich geduscht und reichlich gegessen. Von den Treffen mit Ethan war ich in der Vergangenheit immer hungrig zurückgekommen. Man sollte aus der Vergangenheit lernen. Hier stand ich also, packte wieder meine Tasche und verließ das Haus.
Ich sollte es für eine lange Zeit nicht wiedersehen.
Das Wetter hatte sich in den letzten Tagen kaum verändert. Es war himmlisch: sonnig, frisch, leicht windig. Ich war ohne Jacke unterwegs. Wenn der Sommer mit dem Frühling mithalten wollte, musste er sich mächtig anstrengen. Die ersten fünf Minuten rannte ich wie immer, dann drosselte ich mein Tempo. Ich wollte nicht atemlos am Picknickplatz auftauchen. Ethan, nach einer Woche endlich wieder Ethan. Sein Name war Musik. In meinem Bauch kribbelte es, meine Selbstbeherrschung war dahin. In meiner kleinen Fantasie träumte ich von Küssen und wilden Umarmungen am Seeufer. Meine Vorfreude war kaum noch auszuhalten.
Da ich schlechte Erfahrungen mit zu hohen Erwartungen gemacht hatte, versuchte ich mir zum Ausgleich den denkbar schlechtesten Ausgang für mein Rendezvous vorzustellen: Er kam erst gar nicht. Er musste nach fünf Minuten wieder weg, nach ... Tibet. Er war verheiratet und Vater von drei Kindern und hatte gerade noch rechtzeitig sein Gewissen entdeckt. Er stand auf große Blondinen und hatte mich bisher nur nicht kränken wollen. Er fand mich toll, aber nur als gute Freundin. Es wirkte. Ich fühlte mich tatsächlich nicht mehr ganz so euphorisch. Es gab offensichtlich mehr schlechte als gute Entwicklungsmöglichkeiten, die in diesem Treffen steckten. Ich ahnte nicht, wie recht ich behalten sollte.
Die Straßen waren wie ausgestorben. Kein Wunder um diese Uhrzeit. Selbst der Diner am Eingang der Stadt würde erst um acht Uhr aufmachen. Ich ging über die blitzblank gefegten Bürgersteige und beschleunigte meine Schritte. Der Picknickplatz befand sich kurz hinter dem Ortsausgang am Mirror Lake. Abends war er ein beliebter Treffpunkt für junge Paare und die kaum vorhandene Schwulenszene von Sandy Hills. Großartig! Wahrscheinlich sah das gelebte Klischee am frühen Sonntagmorgen anders aus.
Ich bog links zum See ab und wirbelte mit meinen Schritten Staub auf dem trockenen, kaum geschotterten Feldweg auf. Das Ufer war hinter einem Erdwall verborgen. Auf dem kleinen Parkplatz rechts stand nur ein Auto: ein schwarzer Geländewagen mit verspiegelten Scheiben. Hatte Ethan sich endlich ein standesgemäßes Gefährt besorgt?
Ich legte die letzten Meter des Weges zwischen einem traurig braunen Bodenbewuchs zurück. Der Weg öffnete sich zu einem kleinen Rondell kurz vor dem Seeufer. Das Wasser glitzerte im frühen Sonnenlicht wie tausend stumme Kamerablitze. Rechts und links umrundete ein kleiner Pfad den See. Aufrecht und zum See hingewandt stand Ethan. Er trug wieder einen schwarzen Anzug und nahm sich in dieser frühlingshaften Umgebung wie ein Fremdkörper aus. Ich ging mit klopfendem Herzen näher und wartete, welches meiner ausgemalten Szenarien wahr werden würde.
Der Anfang war nicht vielversprechend. Ethan drehte sich um und sah aus, als wäre er zu seiner eigenen Beerdigung gekommen. Verdammt!, dachte ich. Eine schwere Erkrankung war in meinen Überlegungen nicht vorgekommen.
„Hi, Ethan!“, sagte ich verhalten.
„Hi, Nia!“ Er kam auf mich zu.
Irgendetwas an dem Bild stimmte nicht. Ich sah genauer in sein Gesicht. Er hatte rote Augen. Hatte er etwa geweint?
„Nia, ich bedauere das mehr als alles andere.“
Was? Ich musste aussehen, als hätte ich gerade die entscheidende Pointe eines Witzes verpasst.
„Ich wollte das nicht tun. Ich musste es.“ Sein Gesicht war schmerzhaft verzogen. Dann bemerkte ich, dass er nicht mehr mich anschaute. Er sah über meine rechte Schulter hinweg. Ich drehte mich langsam um und sah zwei Männer auf mich zukommen. Ich kannte die beiden. Ich hatte sie zum ersten Mal in Ethans Haus am Pool getroffen. Wie hießen sie noch mal? Steven und Andrew. Was wollten die beiden hier? Heute trugen sie verspiegelte Sonnenbrillen und dunkle Kleidung. Die Art, wie sie sich mir näherten, machte mir Angst. Ich wich einen Schritt zurück und stieß rückwärts auf Ethan. Wie elektrisiert versuchte ich nach links auf den Weg auszuweichen.
Aber Ethan hielt mich am Arm fest. Sein eiserner Griff war
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