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Aqualove

Aqualove

Titel: Aqualove Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nola Nesbit
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solche moralischen Konflikte nicht.
    Mit den geöffneten Seiten nach unten legte er das Buch vorsichtig hinter sich auf einen freien Platz im Regal. Dann kam er langsam zu uns herüber.
    „Was darf es für euch sein, Ladys?“
    „Gin Tonic“, antwortete ich wie aus der Pistole geschossen.
    „Zwei“, ergänzte Alex.
    „Kommt sofort.“
    „Warte!“, rief ich ihm nach.
    Fragend drehte er sich zu mir um.
    „Was liest du?“
    Er sah aus wie ein zu alter Student, der sein Examen schon zu lange vor sich herschob. Cargohose, weites Sweatshirt, Baseballmütze, um die dreißig. Ein etwas verkniffenes, arrogantes Gesicht. Abschätzig schaute er mich an.
    „Kant.“ Falls du weißt, wer das ist, hätte noch gefehlt.
    Ich war überrascht. So ein Zufall. „‚Kritik der praktischen Vernunft‘?“, fragte ich.
    Jetzt war er überrascht.
    Alex hatte unserem Schlagabtausch unbeteiligt gelauscht. Nun schaltete sie sich ein: „Okay, ihr Halbintellektuellen. Ich bin müde, ich habe Durst. Kann ich jetzt bitte was zu trinken haben?“
    Der Barkeeper und ich zuckten mit den Schultern. Er wandte sich ab.
    Ausgefüllt durch den Film, genervt vom Regen, umspült von leisen Unterhaltungen und jazzigen Klängen, verspürten Alex und ich kein Verlangen zu reden. Ich starrte auf meinen mittlerweile braun verpflasterten, misshandelten Daumen. Erst als die schwappenden Gläser auf den nachlässig hingeworfenen Bierdeckeln landeten, erwachten wir aus unserem Stupor.
    „So. Kant also. Wahrscheinlich sitze ich zufällig mit den einzigen beiden freiwilligen Unterdreißig-Kant-Lesern Chicagos zusammen in einer Bar.“
    „Was stört dich daran?“
    „Nichts. Es passt zu dir.“
    „Was? Kant?“
    „Irgendwie schon. Was weißt du über Kant?“
    „Nicht viel“, antwortete ich. „Deutscher Philosoph. Lebte Anfang siebzehnhundert bis Anfang achtzehnhundert, jede Menge Geschwister. Bekam spät eine Professur in Königsberg. Unglaublich schlau, unglaublich verquast. Wenn ich mal kurz zusammenfassen sollte, was ich überhaupt verstanden habe, würde ich sagen: Die menschliche, nicht die göttliche Vernunft befähigt uns, über Triebe hinaus moralische Entscheidungen zu treffen. Kernpunkt: der kategorische Imperativ.“
    „... oder leben und leben lassen“, schaltete sich mein Freund hinter der Theke ein. Ich nickte zur Bestätigung. Ein genervter Blick von Alex schickte ihn hinter sein Buch zurück. „Leben und leben lassen“, wiederholte Alex versonnen. „Das bringt uns zurück zu ‚Blade Runner‘.“
    Die Replikanten. Ihr Wunsch nach längerer Lebensdauer. Am Ende des Films waren sie menschlicher als die Menschen.
    „Was soll das heißen, Alex? Kant ist überall?“, witzelte ich.
    „Kant ist mir egal. Es heißt, dass es nicht funktioniert.“
    „Was? “
    „Leben und leben lassen. Es funktioniert nicht im Film, und es funktioniert nicht in der Realität.“
    Ich wartete, weil ich kein Wort verstand. Sie sah mich an, als müsse sie einem Kind die Relativitätstheorie verklickern.
    „Ich liebe Rutger Hauer, und du liebst Harrison Ford.“
    „Eigentlich stehst du doch auf Daryl Hannah.“
    „Ich liebe Roy, und du liebst Rick“, wiederholte sie unbeirrt.
    „Ich liebe Rick gar n...“
    „Warte!“ Ihre Hand hatte mich mitten im Satz ausgebremst. „Was sagt Rutger Hauer zum Schluss? Ich habe Dinge gesehen, die du dir nicht vorstellen kannst. All diese Momente werden verschwinden, wie Tränen im Regen. Zeit zu sterben. Sinngemäß.“
    „Und?“ Sie konnte das tatsächlich auswendig. Sie musste den Film etliche Male gesehen haben.
    Unwillig schüttelte sie den Kopf, als hätte sie gerade das letzte Teil in einem zweihundertteiligen Puzzle eingepasst und ich wäre nicht in der Lage, das Bild zu erkennen. Aus ihren dunklen Augen schaute sie mich ernst an. Was hatte ich verpasst?
    „Denk darüber nach, Nia! Denk darüber nach!“
    Mit diesen Worten schüttete sie ihren Gin Tonic runter, als müsste sie den letzten Bus noch kriegen.
    Ich fing an, mich zu fragen, ob ich vielleicht etwas Entscheidendes übersehen hatte. „Was hast du eigentlich mit Ethan Waterman zu tun?“
    Alex sah mich kurz fragend an. „Gar nichts. Was soll das, Nia?“
    „Arbeitest du für ihn?“
    „Sag mal, spinnst du jetzt total?“
    „Nur für den Fall, dass er dich geschickt hat, um mir zu ...“
    „Sehe ich so aus, als würde ich mich von irgendjemandem auf diesem Planeten irgendwohin schicken lassen? Mensch, Nia. Du wirst langsam paranoid.

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