Aqualove
darum gruppierten Stühle waren unpersönlich. Der orangefarbene Teppich blitzte keck unter meinen Schuhsohlen hervor. Ich versuchte gerade, die langatmigen Ausführungen meines Kollegen über die schönsten Wochenendausflüge in Chicago auszublenden. Spießer! Der Typ interessierte sich nur für Sport und Ego-Shooter. Dabei wog er über hundertzwanzig Kilo und hatte noch nie freiwillig einen Schritt gemacht. Für eine Frau war er zu egoistisch, für Kinder zu faul. Er war entweder zu Hause oder im Stadion anzutreffen. Keinem lag das Thema weniger als ihm. Wahrscheinlich hatte er sich eine Stunde in seinem Büro eingeschlossen und auf den Schock mehrere Flaschen Bier versenkt, als Keeler ihm den Auftrag verpasst hatte. Jedes Jahr im Frühling war es das wiederkehrende Thema, mit dem IN & OUT die Outdoor-Saison eröffnete. Sämtliche Verkehrsmittel wurden getestet, jeder noch so alte Besichtigungsschuh anprobiert. Studenten, Familien, Kinder, Singles: Die Ausflügler konnten sich mit unseren Vorschlägen zu Tode amüsieren. Ich schloss die Augen und dachte an Alex, die ich heute Morgen schlafend in meinem Bett zurückgelassen hatte. Ich lächelte unwillkürlich.
„... und Sie, Nia.“ Keelers Stimme holte mich wieder in die Wirklichkeit zurück. „Schön, dass Sie uns wieder Ihre Aufmerksamkeit schenken. Helden der Großstadt. Da habe ich natürlich sofort an Sie und Ihre guten Kontakte gedacht.“
Mein Gesicht war ein einziges Fragezeichen.
„Mr. Waterman.“ Er sprach den Namen aus, als müsse er ihn einer Schwachsinnigen beibringen. „Die letzte Ausgabe hat sich mit seinem Interview ausgesprochen gut verkauft. Die Leser wollen mehr. Ihr Einsatz.“
Mein Einsatz. „Es gibt noch ein Foto.“
„Ein Foto!“ Keeler strahlte, als hätte er gleichzeitig das Ei des Kolumbus und die alchimistische Formel für Gold entdeckt, und nickte mir auffordernd zu.
Umständlich kramte ich in meiner Tasche nach dem Bild, das Ethan mir am vergangenen Sonntag mitgegeben hatte. Nur widerstrebend hatte ich es von seinem Platz auf meinem Schreibtisch entfernt. Mit Alex in der Wohnung war es mir heute Morgen leichter gefallen. Ich zog das Bild aus dem Umschlag und reichte es an meine sitzenden Kollegen weiter. Von Hand zu Hand machte es die Runde bis zu Keeler. Jeder versuchte ehrfürchtig, kurz einen Blick darauf zu werfen. Keeler schob seine Brille auf die Nasenspitze und hielt das Bild umständlich vor sich, so weit seine Armlänge reichte. Mit gefurchter Stirn und zusammengekniffenen Augen betrachtete er Ethans Konterfei.
„Ausgezeichnet! Gut gemacht!“ Das ging an meine Adresse. „Hier. Geben Sie das an die Produktion! Vielleicht machen wir einen Titel daraus.“
Der Titel: Ethan Waterman – Held der Großstadt. Einfach nur dämlich!
Alle in meinem Leben hatten mit ihm zu tun – außer mir. Seit Tagen hatte er sich nicht mehr gemeldet. Kein Anruf. Nichts. Das Überraschungstreffen an der Ampel zählte nicht. Auch da war er komisch gewesen. In meinem Kopf überlagerten sich die Bilder von Ethan und Alex. Erstaunlich. In den vergangenen zwei Wochen war in meinem Gefühlsleben mehr passiert als in den fünfundzwanzig Jahren zuvor. Ich hatte mich verknallt in jemanden, den ich seitdem nicht mehr wiedergesehen hatte. Super. Aussichtsreich. Mein Mob vibrierte. In Keelers Richtung machte ich eine entschuldigende Handbewegung, flüsterte mit überdeutlicher Mundgymnastik „Wichtig!“ und drängte mich hinter den anderen durch die Tür auf den Gang hinaus.
„Petit. Hallo.“
„Ich bin’s.“
„Hi, Alex.“
„Ich liebe dich.“ Pause.
„Ach du Scheiße, Alex. Geht das nicht ein bisschen schnell?“
„Nicht für mich.“
Ich schwieg einen Moment.
„Hey. Ich will keinen Trauschein. Es ist okay, wenn es für dich nicht so ist.“ Sie klang absolut ehrlich.
Ja, dann ... Das leise Knistern in der Leitung schien plötzlich Bedeutung zu bekommen. Jetzt wurde es doch kompliziert.
„Alex. Ich glaube, ich liebe jemand anderen.“
„Und?“
Sie erschien kein bisschen aufgeregt oder nervös, gekränkt oder deprimiert. War unerwiderte Liebe heute eine Lappalie? Ich kannte mich offenbar nicht mehr gut aus.
„Ethan Waterman.“ Jetzt war es raus.
„Okay.“
Okay?! Sonst nichts? Alex war ausgeglichener als eine Wasserwaage. Ausgeglichener als die Luft in der Luftblase in einer Wasserwaage.
„Alex?“ Ich dachte an ihre Zahnlücke, ihren Blick und die kühlen Hände, die ihren Wagen steuerten.
„Hm?“
„Das
Weitere Kostenlose Bücher