Aqualove
gesehen haben?“
„Ihr habt uns gesehen.“
„Wie bitte?“ Ich war perplex.
„In Kinderbüchern und Sagen erzählt ihr Geschichten von Sirenen, Meerjungfrauen, Nixen, Poseidon oder Neptun.
Es war verrückt. Hatten wir tatsächlich jahrtausendelang Seite an Seite mit unseresgleichen gelebt und es nicht verstanden, uns zu erkennen? Wir hatten Teleskope in den Weltraum gerichtet, anstatt nach unten zu schauen. Ganz nah bei uns waren die, die wir immer vermutet, gesucht und gefürchtet hatten. Während wir lautstark unsere Existenz ins Weltall hinausposaunt hatten, waren unsere Verwandten schon seit Ewigkeiten still und leise mitten unter uns.
„Hast du Kinder?“
„Hier oder unter Wasser?“
„Wenn du schon so fragst: beides.“
„Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich mich, bevor ich dich kennenlernte, noch nie verliebt hatte. Ich hatte auf der Erde nie Zeit oder Muße, an körperliche Nähe zu denken.“
Ich sah ihn skeptisch an.
„Man könnte auch sagen: Es hat mich kein Mensch vor dir verführt.“
„Oh. Also keine irdischen Kinder. Wie sieht es unter Wasser aus?“ Ich wappnete mich mit Gleichmut.
„Bevor du etwas falsch verstehst, muss ich etwas vorausschicken. Wie du weißt, gibt es in meinem Volk keine engen persönlichen Bindungen. Das Wohl des Schwarms ist vorrangig. Wir paaren uns, wir gebären Kinder unter Wasser. Und um deine Frage zu beantworten: Ja, ich habe unter Wasser viele Kinder gezeugt.“
„Ich gehe davon aus, dass du dafür nicht bis heute pflichtbewusst Alimente bezahlst.“
„So lose in etwa kann man sich familiäre Bindungen bei uns vorstellen. Wir beschützen unseren Nachwuchs, wir ziehen ihn liebevoll groß, aber das entspringt eher dem Wunsch nach Fortbestehen der Art als einem emotionalen Bedürfnis.“
„Fühlt ihr wie wir? Freude, Zorn, Nervosität?“
Er beantwortete die Frage nicht sofort, als müsse er in seiner Erinnerung suchen.
„Es ist schon so lange her, und mein Bewusstsein hat sich seitdem so verändert, dass ich es oft unmöglich finde, mein Leben damals noch richtig zu beschreiben. Wenn ich unter Wasser mit meinem Volk spreche, fühle ich mich manchmal fast fremd. Ja, wir empfinden Gefühle. Wir sind intelligente Lebewesen: sprachbegabt, technisch versiert und taktisch operierend. Unsere Gefühle prägen unser Leben jedoch nicht so stark wie hier auf Erden. Unser Zorn ist verhaltener, unsere Freude leichter, unser Denken und Fühlen sind ausgeglichener. Ich würde uns als vernunftorientierter als Menschen bezeichnen, emotional weniger abhängig.“
Ich wusste nicht, wie ich die nächste Frage stellen sollte.
„Was auch immer es sein mag, frag mich jetzt, Nia. Du wirst sonst heute Nacht nicht schlafen können. Und ich auch nicht.“ Ethan merkte mir meine Verunsicherung an.
„Was für einen Nachwuchs bringen bewohnte, menschliche Körper hervor? Du als Wissenschaftler müsstest doch überprüft haben, inwiefern deren Kinder Gene eurer Art vorweisen. Oder gibt es auch rein menschliche Nachkommen?“
„Du möchtest wissen, ob du vielleicht weniger allein bist, als du dachtest?“
Ich nickte. Meine Gedanken waren erschreckend durchschaubar.
„Wenn Uli und Ingrit ein Kind bekämen, wäre es nicht mehr rein menschlich. Früher, als es noch mehr Menschen und wenige von uns gab, konnte bei Mischpartnerschaften durchaus ein rein menschliches Kind gezeugt werden.“
Ich kam mir vor wie in Biologie I, Mendels Erblehre. Offensichtlich war das menschliche Genom rezessiv. Auch die Blonden starben langsam aus.
„Wenn es so viele von euch gibt und nur noch so wenige von uns, wie will dein Volk dann überleben?“
„Täglich wird mein Volk dezimiert durch Krankheiten, für die die Menschen verantwortlich sind. Ich will ehrlich sein, Nia. Es gibt Stimmen in meinem Volk, die eine Züchtung der verbleibenden Menschen erwägen.“
Ich musste ihn mit offenem Mund angesehen haben. Hatte er gerade „Züchtung“ gesagt?
„Die lange menschliche Schwangerschaft steht schnellen Erfolgsaussichten im Wege, aber es gibt Forschungszweige, die sich mit der Beschleunigung dieses Prozesses befassen.“
Unter normalen Umständen hätte jeder, der die neunmonatige menschliche Schwangerschaft auf die Hälfte verkürzt hätte, den Nobelpreis verdient. Aber das waren keine normalen Umstände.
„Ich kann das nicht, Ethan! Ich höre dir zu und werde immer fassungsloser. Was wirst du als Nächstes vorschlagen? Dass uns Ohren und Geschlechtsorgane kupiert
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