Aquila
auf dem nassen, modernden Holz, während der Strahl langsam weiter wanderte, stehen blieb, erneut über ihn glitt und dann gemächlich den Strand bestrich.
»Mach schon, Colin«, rief sie. »Bei dem Nebel haben sie dich nicht gesehen.«
Für den Augenblick gerettet, erhob er sich mühsam zu seiner ganzen Länge, griff nach der Maschinenpistole und trottete zu der aufgeworfenen Tür des Bootshauses, wo Polly ihm die Arme um den Hals legte. »O Gott«, seufzte sie, »ich dachte schon …
300
Alles in Ordnung?«
Er nickte schweißüberströmt und leicht benommen. Lieber Gott, wenn du mich am Leben lässt, spiele ich wieder Squash, ich jogge, ich mache alles, was du von mir verlangst … Die Tür klemmte. Wütend warf er sich mit der Schulter dagegen, hob sie aus den Angeln. Sie tasteten sich ins Dunkel. Es roch nach nassem Holz, Benzin und Öl. Nach und nach nahm der hintere Ausgang eine graue, rechteckige Form an. Durch ein Loch im Dach drang schwach das Mondlicht …
Polly tastete sich an der Wand entlang und triumphierte: »Hab ich’s doch gewusst! Ein Lichtschalter! Wer so viel Geld hat, hat auch einen Generator.« Zwei nackte Glühbirnen am Ende von ausgefransten Kabeln erwachten zum Leben und warfen ein grelles Licht auf das Innere. Chandler, der keine Ahnung von der Seefahrt hatte, taxierte das Gerät, das er vor sich sah, und ordnete es unter ›Kabinenkreuzer‹ ein. Die Wellen brachen sich leise an seinem Rumpf. Er registrierte alles, aber er verstand nichts davon, denn er war nie auf einem Boot mitgefahren, hatte alles nur von Weitem gesehen. Etwa zwölf bis fünfzehn Meter lang, jede Menge glänzendes Holz, eine Eleganz, die vermuten ließ, dass das Boot schon einige Jährchen auf dem Buckel hatte: Chandler konnte sich nicht vorstellen, dass jemand noch solche Qualität produzierte. Am Heck war das Boot offen, doch das mittlere Drittel war überdacht wie das von Humphrey Bogart in Hafen des Lasters.
Auf dem Steg befanden sich zwei große rote Benzinkanister neben einem Haufen Lappen, einige gut verpackte Pinsel, ein paar Längen ölverschmiertes Seil, ein zerkratzter und verbeulter Werkzeugkasten. Polly kletterte an Bord, schnüffelte geheimnisvoll ein bisschen herum und nahm etwas von einer Halterung neben dem Steuer. Dann stieß sie die Tür zu einem Niedergang auf, in dem vermutlich die Kojen und die Kombüse lagen. Als sie wieder heraufkam, stemmte sie lächelnd die Hände in die Hüften.
301
»Wir spielen wieder mit. Dieser kleine Prachtkerl bringt uns hier raus.«
»Prachtkerl«, wiederholte er. »Wer schreibt dir denn die Texte?«
»Keine Zeit für Spitzfindigkeiten, mein Schatz. Wie schon der Dichter sagt: Während wir noch reden, sind sie uns schon auf den Fersen.«
»Brauchst du denn keine Karten oder so was?«
»Da oben liegt ein ganzer Stapel.« Sie deutete mit dem Kopf auf ein Regal über dem Steuer. »Und wenn schon das
Kanonenboot den Weg in die Bucht gefunden hat, dann wird uns dieser kleine –«
»Prachtkerl.«
»– wohl auch raus bringen.«
»Kanonenboot, sagst du?«
»Ein Fischerboot ist es nicht, das kannst du mir glauben. Ich denke, es gehört den Russen. Ein Spionageschiff mit allem elektronischen Schnickschnack und Bordwaffen. Die
patrouillieren ständig an der Küste entlang. Vergiss nicht, damit kenne ich mich aus.«
»Ich habe immer Bedenken, ob ich dir glauben soll, wenn du mir solche Sachen erzählst.«
»Glaub mir«, sagte sie, mit dem Boot beschäftigt.
»Weißt du überhaupt, wie –«
»Hör mal: Oben im Haus gewinnt einer die Schlacht und merkt, dass wir weg sind und das Päckchen auch, und dann zählen sie einfach zwei und zwei zusammen. Beide Seiten sind übers Meer gekommen, also lauern zwei Schiffe dort im Nebel.
Wir sind die Flagge in ihrem Fangspiel, und deshalb sollten wir so schnell wie möglich verschwinden – lieber in der Nacht als bei Tag. Außerdem geht’s genauso um meinen Kopf wie um deinen. Du kannst mir also glauben, dass ich weiß, wie man mit diesem verdammten Kahn umgeht. Und jetzt setz dich hin.«
Während ein Ventilator anlief, wuselte Polly geschäftig 302
umher. Er wartete still, bis er hörte und spürte, wie sich der Motor in Gang setzte. Nach seiner Einschätzung heulte er sehr laut auf – aber was wusste er schon davon? Sollte er doch heulen! Wichtig war, dass sie hier heraus kamen. »Meinst du wirklich, das funktioniert? Wäre das nicht zu einfach?« Er saß ihr gegenüber auf einer gepolsterten Bank, den
Weitere Kostenlose Bücher