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Aquila

Aquila

Titel: Aquila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gifford
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verpennt.

    Er hatte noch Pollys Stimme im Ohr, die Limericks erfand, während sie den Leihwagen von Sydney nach Halifax lenkten –
    quer durch den Matsch und den Schnee des beginnenden Frühlings in Neuschottland. Irgendwie waren sie in einem kleinen Fischerdorf am Cabot Trail von Bord gelangt – lädiert und leck geschlagen von den Einschüssen und dem
    Zusammenprall mit dem Hexenzahn –, und am
    Mittwochmorgen von einem einsamen Autofahrer
    mitgenommen worden, der auf dem Weg nach Sydney ins Krankenhaus war.
    Wie es Polly gelungen war, durch schwere See, dichten Nebel und Gott-weiß-was noch, die Küste von Kap Breton zu erreichen, war ihm schleierhaft. Sie war die reinste Wiedergeburt von Humphrey Bogart. Er konnte sich nicht entsinnen, jemals einem Menschen mit solcher Ehrfurcht entgegen getreten zu sein: Vielleicht würde er nie erfahren, wie sie das geschafft hatte, aber es war unbestreitbar, dass sie das Boot über viele Meilen tintenblauer, Furcht einflößender See sicher zur Küste gebracht hatte. Sie sagte ihm, das sei alles Unsinn, er würde ihre Leistung übertreiben, aber er entdeckte 308
    ein zufriedenes Lächeln hinter ihrem Protest. »Es war keine großartige Leistung«, sagte sie verschmitzt, mit einem kleinen Seitenhieb auf seine Geschichtsphilosophie, »es war nur heldenhaft … Das ist ein Unterschied.«
    Seine Sorgen tanzten um ihn herum wie bösartige Zwerge. Er erinnerte sich an Pollys Entschlossenheit und den Rückstoß der Maschinenpistole in seiner Hand, und an ihren verwegenen Spurt durch die Hexenzähne. James Bond ließ grüßen. Er machte sich Gedanken um das verschollene Dokument. Wo war es? War Prasser noch am Leben? Was war nach ihrer Flucht auf der Insel passiert? Was war mit Hugh?
    Seine Augenlider schmerzten von dem Glanz der Sonne auf dem Wasser. Er lehnte den Kopf an Pollys Schulter.

    Maxim Petrow las die dechiffrierte Nachricht, rieb sich die Augen und unterdrückte ein Gähnen, das mit der Information in keinem Zusammenhang stand, der eher ein Schreikrampf gerecht geworden wäre. Nein. Sein Büro war überheizt, und deswegen war er eine Stunde nach Arbeitsbeginn bereits müde.
    Wenn er monierte, dass es zu heiß war, musste er damit rechnen, sich innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden zu Tode zu frieren. Es gab einfach keinen Ausweg.
    Er legte das Blatt Papier auf den Tisch, strich kurz mit den Fingerspitzen darüber hin, als könne er dadurch einen Sinn hineinbringen, und überflog die Liste seiner Aufgaben und Verpflichtungen. Er sah dem Tag bürokratisch ins Gesicht: Vermutlich ließ es sich nicht vermeiden, den Fremdenführern von Intourist Mut zuzusprechen. Ihre Stimmung war völlig desolat. Außerdem gab es einen boomenden Schwarzmarkt für Levi’s-Jeans, der seine heißeste Phase erreicht hatte: Seine Frau hatte ihm zwei Paar davon gekauft, und der Preis spottete jeder Beschreibung. Die Informanten verlangten eine Erweiterung ihrer Privilegien. Und nun dieses unglaubliche Theater in Neuschottland.
    309
    Seufzend zündete er sich eine Havanna an und entschied sich für ein Spielchen: Konnte er sie zu Ende rauchen, ohne zwischendurch die Asche abzuklopfen?
    Absolut alles, was Mütterchen Russland betraf, landete schließlich und endlich auf seinem Schreibtisch. Jedenfalls alles, was schief ging, und das war so ziemlich alles. Es lief jedes Mal auf das Gleiche hinaus: Der KGB wurde zu groß. Andererseits verlieh ihm seine ständig wachsende Größe mehr Macht.
    Die Sache in Neuschottland, ein typisches Beispiel. An dem einen Ende trat man sich, wie gewohnt, ständig selbst auf die Füße, während das andere Ende von keinerlei Problemen wusste. Alles andere als perfekte Koordination; aber in einer wenig perfekten Welt musste man sich damit abfinden.
    Neuschottland. Das betraf die kanadische Einsatzgruppe und die amerikanische, am Rande noch den übereifrigen jungen Mann in Bukarest; seine Karriere war wohl vorbei, bevor sie richtig begonnen hatte. Und nun hatte er diesen erstklassigen Murks auf dem Schreibtisch, der auf eine saublöde und triviale Weise entstanden war. Wie konnte so was passieren? Warum musste er bei allem die humorvolle Seite sehen? Er kam sich vor wie ein Tölpel auf einer Party, den man nicht daran hindern kann, immer die gleichen langweiligen Witze zu erzählen –
    Woche für Woche, Jahr für Jahr. Keine Frage, wem die Schuld zugeschoben würde, wenn der Zwischenfall in Neuschottland einen dritten Weltkrieg auslöste: keinem anderen als

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