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Aquila

Aquila

Titel: Aquila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gifford
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seriöse Reporterin, deren Aussehen er schon oft während der Abendnachrichten bewundert hatte: scharf geschnittenes Gesicht, sanfte braune Augen, ein paar kunstvoll drapierte graue Strähnen in dem üppigen
    kastanienbraunen Haar, das – nach hinten gebunden – ihre Ohren bedeckte. Fast musste er lächeln; dann hörte er ihre Frage. Er wünschte ihr alles Mögliche an den Hals.
    »Stimmt es, Professor Chandler, dass Sie der Letzte waren, der 62
    Bill Davis an der Universität lebend gesehen hat?«
    »Nein, das ist schlicht und einfach falsch, Miss Bishop – wie ich Ihnen gerade ausführlich erklärt habe. Bill wollte am Nachmittag zu mir ins Büro kommen, aber ich war nicht da und er ging wieder.«
    »Haben Sie eine Ahnung, warum er so verzweifelt versuchte, mit Ihnen zu reden?«
    »Die Verzweiflung ist auf Ihrem Mist gewachsen, Miss Bishop. So weit ich weiß, war nichts Verzweifeltes an seiner Nachricht. Ich sollte ihn einfach anrufen. Bei mir hinterlassen viele eine Nachricht, ohne dass sie danach ermordet werden. Ich hätte ihn bestimmt angerufen, wenn er noch am Leben gewesen wäre.«
    Ein Grüppchen Studenten blieb stehen. Sie deuteten auf ihn und grinsten. Er konnte es ihnen nicht übel nehmen. Unter einem kahlen Baum standen zwei Männer mit ungemütlich hochgezogenen Schultern im Regen. Sie wirkten seltsam altmodisch und fehl am Platz, besonders der kleinere in seinem Pepita-Regenmantel und dem dazu passenden Hut.
    Er hörte kaum, was sie sagte: Ärger und Frust über ihr Vorgehen halfen ihm, ihre Stimme auszublenden. Die Studenten verloren das Interesse und gingen weiter. Die beiden Männer stampften mit den Füßen und taten so, als würden sie sich wegen ihrer Neugier genieren. Chandlers Blick wanderte über den Yard. Ihm wurde übel bei dem Gedanken, dass einer seiner Kollegen zufällig auf dieses lächerlichen Schauspiel aufmerksam werden könnte. Im Aufgang zu Matthews Hall, wo Chandler als Erstsemester gewohnt hatte, standen noch zwei Männer, die ihn zum Glück nicht beobachteten. Aus
    irgendeinem unverständlichen Grund schienen sie die beiden unter dem Baum im Visier zu haben. Chandler registrierte einen Kahlköpfigen mit grauen Flusen über den Ohren, der sich mit einem weißen Taschentuch über die Glatze wischte.
    »Damit vertieft sich das Geheimnis um den Tod von Bill 63
    Davis«, sagte sie mit der gespielten Dramatik derjenigen im Tonfall, die jeden Tag neue Horrormeldungen verbreiten. »Es bleibt die Frage: Warum wollte er Professor Chandler so dringend sprechen? Das ist nicht sehr ergiebig, aber es ist alles, was wir im Augenblick haben …« Es folgte eine bedeutsame Pause, während der Chandler sein eigenes Zähneknirschen hörte. »Polly Bishop von Kanal 3 Aktuell aus Harvard Yard.«
    Das Licht erlosch. Sie ließ seinen Arm los und reichte das Mikrofon dem Helfer, der es ihr gegeben hatte. Dann wischte sie sich den Regen vom Gesicht und lächelte Chandler zu, als sei nichts geschehen.
    »Miss Bishop, in den letzten beiden Minuten haben Sie mir demonstriert, wie vernünftig ein Mord sein kann …« Er spürte, wie er ungewollt mit den Zähnen knirschte.
    »Das gehört zum Showgeschäft, Professor. Knapp, prägnant, unterhaltsam … nicht unbedingt intelligent oder tief schürfend oder korrekt. Sie sollten sich freuen über Ihre kleine Theorie.«
    Sie griff nach der Vuitton-Tasche, schlüpfte mit ihren eleganten, schlanken, ringlosen Händen in schmale braune
    Lederhandschuhe und sah ihm keck in die Augen. »Aber wir sind die Nummer eins im Nachrichtengeschäft. Wir sind Reporter, keine Sprachgenies … Wir schwärmen aus und dokumentieren die Ereignisse. Und wir berichten nicht nur über Mord und Korruption in der Stadt oder über Skandale oder über den Mob. Wir versuchen, etwas dagegen zu tun. In diesem Fall wollen wir herausfinden, wer Bill Davis getötet hat.« Sie stand unten an der Treppe und schaute hinauf. Ihre sanften Augen blitzten wütend. »Hier ist Ihr blöder Schirm.«
    Er griff danach und revanchierte sich: »Na, jedenfalls teilen Sie meine Theorie über das Fernsehen. Sie sind Ihr Geld wert, Miss Bishop, Nummer eins in Boston … Was immer das
    bedeuten mag.«
    Er hielt sich an seinem Regenschirm und seiner Aktenmappe fest und ging. Regentropfen sprenkelten seine Brille.
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    »Vielen Dank, dass Sie sich für mich Zeit genommen haben, Professor.« Sie stellte sich erstaunlich rasch um, ignorierte einfach die Meinungsverschiedenheit. So etwas war ihm noch nicht begegnet.

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