Aquila
meine verehrte irische Mutter gesagt hätte – gesagt hat, in Bezug auf meine unsterbliche erste Frau Brenda, den Star.« Er knuffte Chandler in den Arm. »Lass dich nicht von ihr kleinkriegen. Kopf hoch!«
Chandler zuckte frustriert die Achseln.
»Komm«, sagte Brennan, »wir gehen zu Chez Dreyfus essen und einen trinken. Das richtet dich wieder auf. Ich erzähl dir einen neuen Witz.«
»Nein. Ich bin nicht in Stimmung. Ich nehm mir zu Hause den Playboy vor und geh dann ins Bett.« Chandler seufzte und starrte in den Dauerregen, der mit zunehmender Dunkelheit heftiger wurde. »Übrigens schreibe ich neuerdings auch für den Playboy. «
»Solange du nicht posierst …«
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»Nein, ich habe einen Auftrag angenommen, für einen Artikel
… ›Die echte amerikanische Revolution‹ ist der Arbeitstitel.
Dubiose Wissenschaft zwischen Titten und Schamhaar.«
»Prominente Akademiker sind mir ein Gräuel«, erklärte Brennan. Sie gingen an der Kirche um die Ecke und drängelten sich auf dem Weg ins Restaurant unter dem Schirm.
»Weißt du«, sagte Chandler, »ich wäre gern da gewesen, als er in mein Büro kam. Es geht mir nicht aus dem Kopf. Er hat letzte Woche was gesagt, aber ich kann mich nicht genau erinnern.
Nichts Großartiges. Aber er ist nach der Vorlesung zu mir gekommen. Er hat mich durch seine Hippie-Brille angeguckt und gesagt, er wolle mir was zeigen. Er war ziemlich zurückhaltend. Er sagte – warte mal – er sagte, ich würde es nicht glauben, aber er brauchte eine Verifizierung.« Er hielt inne und biss sich auf die Unterlippe.
»Stimmt. Er wollte, dass ich etwas begutachte. Hugh, das ist komisch. Was hätte ich dem Jungen begutachten sollen?«
»Vielleicht ein Dokument? Irgendwas Historisches?«
»Etwas Altes – oder etwas von zweifelhafter Herkunft …
eventuell eine Fälschung? Herrgott, es ist richtig unheimlich, dass ich mich jetzt daran erinnere.«
»Polly Bishop ist also doch nicht so dumm, mein Lieber. Sie meinte, du wüsstest etwas, und das stimmt.«
»Aber mit dem Mord hat es nichts zu tun …«
»Wer weiß?«
Vor dem Chez Dreyfus sagte Brennan zu ihm: »Lass dich aufheitern.«
»Du erzählst mir einen Witz.«
»Ein Professor für Englisch stürzt sich mit drei seiner Examenskandidaten ins Nachtleben. Sie sehen vor sich leichte Mädchen – Huren, im Klartext. Der Professor stellt eine Frage: Eine Ansammlung von Gänsen ist eine Gänseschar, eine Ansammlung von Löwen ein Rudel, eine Ansammlung von Schafen eine Herde. Was ist dann der Terminus für eine Gruppe 68
von leichten Mädchen? Die Jungen sind helle und geübt im Umgang mit literarischen Fachbegriffen. Sie geben flotte Antworten. Der erste schüttelt den Kopf und fasst sich ans Kinn:
›Eine Materialsammlung.‹ Nicht schlecht! Aber Nummer zwei übertrifft ihn mit: ›Eine Kollektion.‹ Der dritte hört die Vorgaben und verkündet triumphierend: ›Eine Kompilation!‹
Der Professor muss sie loben. Sie haben Old Harvards Ehre gerettet, doch keiner hat die richtige Antwort gegeben. Für Studenten der englischen Literatur gibt es nur eine einzige Antwort, nämlich –«
»Eine Anthologie«, sagte Chandler. Seine Laune wurde besser.
Er musste lachen. Brennans Miene verdüsterte sich.
»Du hast ihn gekannt. Ich hab ihn schon mal erzählt.«
»Nein, nein. Es war eine Eingebung.«
»Erzähl keine Märchen. Jemand hat’s dir erzählt …«
Chandler winkte ihm zu, während er allein weiterging. In dem kleinen Supermarkt an der Ecke Brattle Street deckte er sich mit Kaffee und Brie und einem frischem Krustenbrot ein.
Doch eines ging ihm die ganze Zeit nicht aus dem Kopf: Was mochte es gewesen sein, das er für Bill Davis hätte verifizieren sollen?
Selbst nach einem lausigen Tag fand Chandler abends Geborgenheit und Freude in seinen vier Wänden, unter all den Dingen, die er im Laufe seines Lebens zusammengetragen hatte.
Seine Veröffentlichungen und sein gut bezahlter Job an der Harvard-Universität brachten ihm eine gute Stange Geld. Eines seiner Bücher war sogar unter den Bestsellern des Monats gewesen. Er hatte nie anderswo als in Harvard gelehrt; mit achtzehn hatte er dort zu studieren begonnen und war nach dem Studium geblieben. Klar, es war ein behütetes Leben, aber genau so hatte er es sich vorgestellt. Der Ehe war er zwar gelegentlich ziemlich nahe gekommen, aber so ganz hatte es nie gereicht. Das ließ ihn kalt, und er dachte nicht darüber nach: 69
Entweder würde er heiraten – oder eben nicht.
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