Aquila
»Und wenn Ihnen zu Bill Davis noch etwas Wichtiges einfällt, wenn irgendwas passiert – und glauben Sie mir, in Mordfällen passiert immer was …« Wieder lief sie ihm nach. »Rufen Sie mich an, zu Hause oder im Studio.« Sie hielt ihm ihre Karte hin. Automatisch griff er danach und starrte das kleine weiße Rechteck an.
»An Ihrer Stelle würde ich keine Informationen von mir erwarten.«
Sie lächelte unbeeindruckt. »Na, jedenfalls vielen Dank. Und regen Sie sich nicht auf. Davon kriegen Sie höchstens ein Magengeschwür, so wie ich.« Sie winkte ihm spitzbübisch zu und ging wieder zu ihrem Team. Vor dem Tor zur Mass Avenue sah er einen grün-braunen Kombi mit einer 3 an der Tür stehen.
Motor und Scheibenwischer liefen.
Frustriert zerknüllte er das Kärtchen und warf es weg. Rasch drehte er sich um und eilte an dem Mann mit dem Pepitahut vorbei, um so schnell wie möglich aus ihrer Reichweite zu kommen. Sie ging ihm heftig auf die Nerven. Aber in einem hatte sie Recht: Seine Meinung über das Fernsehen hatte sich bestätigt.
Hugh Brennan rief Chandler etwas zu, als er an dem
dunkelroten Ziegelklotz entlang lief, der sich Matthews Hall nannte. Chandler hatte den Blick zuvor starr auf den Boden gerichtet, in der Hoffnung, unbemerkt den Schauplatz verlassen zu können. Der untersetzte, ziemlich kleine Mann trat auf ihn zu. Sein Aussehen passte zu seiner Persönlichkeit: Er hatte etwas von einem gutmütigen Haustier, einen Hang zur Passivität, die aber nur so lange anhielt, bis er Tritt fasste und sich ins Zeug legte, bereit, bis zum Letzten zu kämpfen. Er lehrte Englisch. Sein Spezialgebiet war der Roman des neunzehnten Jahrhunderts, insbesondere die Werke Trollopes.
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Er verzog das runde Gesicht zu seinem gewohnten Grinsen. Sein rotblondes lockiges Haar klebte nass am Kopf, »Ich hoffe nur, du hast dieses Schmierentheater nicht mit erlebt«, knurrte Chandler.
»Doch. Von Licht umflutet hast du da gestanden, mit grantigem Gesicht, aber resolut. Ein neuer Stern am Fernsehhimmel, wie Galbraith und Schlesinger. Und erst die Lady – einsame Klasse!« Er bemerkte Chandlers saure Miene.
»Worum ging’s denn eigentlich?«
Sein Doppelkinn quoll aus dem schweren
maschinengestrickten Rollkragenpullover. Es sah aus, als säße sein Kopf direkt auf den Schultern.
Einträchtig nebeneinander schlenderten sie aus dem
Universitätsgelände. Die Autos fuhren nun mit Licht. Es regnete eintönig vor sich hin.
Chandler beschrieb seinen Fernsehauftritt und meinte zum Schluss: »Sie hat einfach ignoriert, was ich ihr vorher erzählt hatte, damit sie mir am Anfang eine gute Frage stellen konnte.
Ob ich der Letzte war, der Bill Davis lebend gesehen hat?
Scheiß-Showgeschäft!«
Brennans Grinsen verschwand. »Du hast den Jungen
tatsächlich gekannt?«
»Eigentlich nicht. Du weißt ja, wie das so ist. Er kam mir gewieft vor und ein bisschen introvertiert. Ich habe ein paar Mal mit ihm gesprochen. Aber gekannt habe ich ihn nicht.«
Brennan nickte. »Warum wollte er denn mit dir sprechen? Am Tag, als er ermordet wurde, meine ich.«
»Keine Ahnung. Er wollte mir was zeigen. Aber er hat nicht gesagt, was.«
»Hat die Polizei mit dir gesprochen?«
»Klar. Sie haben meinen Namen bei ihm gefunden. Aber es war keine große Sache. Zehn Minuten Routinefragen, danke für die Hilfe – das war’s.«
»Dann vergiss es doch.«
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»Es geht um diese Bishop. Sie hat mich gelinkt. Bei ihr sah es so aus, als wäre ich irgendwie beteiligt. Sie ist unaufrichtig und rücksichtslos. Und heute Abend sieht jeder in Boston das dämliche Interview und fragt sich, warum der Junge mich so dringend sprechen wollte.« Sie überquerten den Square und blieben einen Moment lang unter der Markise des
Universitätstheaters stehen. Brennan steckte sich eine Zigarette an, sog daran und hustete. Chandler war noch immer in Fahrt:
»Die Frau hat was Destruktives. Manche Frauen können einfach nicht anders. Das liegt in ihrer Natur.«
»Ja, ja«, brummte Brennan. Er hatte zwei Ehen überlebt: die erste mit einer englischen Schauspielerin, die nächste mit einer Schönen aus Charlottesville. »Hast du Robin und Marian gesehen?«
»Audrey Hepburn«, meinte Chandler genervt. »Ich weiß, ich weiß …«
»Eine Frau wie die hätte bei mir jede Menge Kredit. Sie ist zäh, unabhängig, intelligent und schön –«
»Wer sagt, dass sie intelligent ist?«
»Herrgott, das sieht man doch! Sie macht einen guten Eindruck, und sie verdient gut, wie
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