Aquila
Davis an 74
seinem letzten Tag nicht gesehen. Verstehen Sie? Nicht gesehen
… Mir ist aber etwas eingefallen.« Er erzählte die Sache mit der Verifizierung und seine Vermutungen.
»Ach ja.« McGonigle nickte mit dem Kopf und spitzte die Lippen.
»Das könnte äußerst wichtig sein«, sagte McGonigle, »oder völlig belanglos … Dürfte ich mir vielleicht eine Pfeife stopfen?«
Chandler schob ihm die Tabaksdose hin.
»Wir werden das herausfinden«, meinte Fennerty.
»Gut. Ich hoffe, das war’s dann so weit. Mehr weiß ich nicht.
Niente .« McGonigle steckte seine Pfeife an und hüllte sein Haupt in Rauchwolken. »Erst die Polizei von Brookline, dann dieses verdammte Fernsehweib, jetzt die Bostoner
Mordkommission … Wissen Sie, ich bin kein Idiot. Der Zinnober muss aufhören.«
»Sachte, Professor. Keiner hat behauptet, Sie sind ein Idiot.«
»Ihr Typen habt gestern drüben bei Matthews Hall gestanden und beobachtet, wie ich mich zum Narren gemacht habe, verdammt noch mal …« Fennerty sah plötzlich in seine Tasse, als hätte er darin eine Schlange entdeckt, und stellte sie auf Chandlers Schreibtisch. »Jetzt muss Schluss sein!«
»Wir tun nur unsere Arbeit, Sir«, versuchte McGonigle ihn zu besänftigen. »Wir stellen Ihnen bloß ein paar Fragen.«
»Wir möchten Ihnen keinen Ärger machen«, sagte Fennerty.
»Macht sich blendend – mein ganzes Büro voll Polizei. Ich lenke Aufmerksamkeit auf das College, und genau das will ich vermeiden … Ich halte viel von der Universität und möchte nicht, dass sie in den Dreck gezogen wird.«
Brennan lächelte. »Kämpfe wacker, Harvard!« Es war der alte Wahlspruch der Universität.
»Das tun Sie keineswegs, Professor«, versicherte Fennerty.
»Niemand liebt Harvard mehr als ich – hab’ ja selbst die Uni hier durchlaufen.«
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»Tatsächlich?« Chandler war überrascht.
»Klar. Jeden Morgen auf dem Weg ins Gymnasium.«
Brennan lachte schallend.
»Brennan mag lausige Witze«, erklärte Chandler kurz angebunden.
»Sinn für Humor ist ein Gottesgeschenk«, meinte Fennerty.
»Sie sollten für den Ihren etwas tun, Professor.«
»Mein Sinn für Humor ist intakt«, sagte Chandler. McGonigle füllte einen Wachstuchbeutel mit Chandlers Balkan-Sobranie-Mischung. »Was mir fehlt, ist Geduld.« Die sommersprossigen Wurstfinger gruben sich in den schwarzbraunen Tabak. »Tun Sie sich keinen Zwang an«, murmelte Chandler.
»Bestimmt nicht, mein Lieber. Prima Tabak. Meine Frau kauft mir ein schreckliches Kraut im Supermarkt. Kirscharoma. Nun zum letzten Mal, Professor: Sind Sie sicher, dass Davis Ihnen nichts übergeben hat, was Sie begutachten sollten? Vielleicht hat er’s mit der Post geschickt oder bei Ihrer Haushälterin hinterlegt
…«
»Vielleicht wissen Sie gar nicht, dass Sie es haben«, fügte Fennerty bedeutsam an.
»Quatsch. Er hat mir nichts übergeben, nichts hinterlegt, nichts an mich geschickt.«
Die beiden wandten sich zum Gehen.
»Ihr Leute seid noch schlimmer als Polly Bishop!« Chandler stand auf.
»Bemühen Sie sich nicht, wir finden selbst hinaus.« Fennerty blinzelte rasch hinter seinen dicken Gläsern und schürzte die winzigen Lippen. Seine Hand lag auf dem Türgriff.
»Übrigens, Professor«, sagte McGonigle, während er an der alten schwarzen Pfeife sog, »Sie sollten sich Miss Bishops Sendung anschauen. Wir dürfen nicht darüber reden, aber ich glaube ihr Bericht wird Sie interessieren … Und falls Ihnen noch was zu Bill Davis einfällt, lassen Sie’s uns wissen. Oder noch besser, behalten Sie’s für sich. Sie hören von uns. Wir 76
wollen nicht, dass der Fall breitgetreten wird. Wir melden uns.«
Sie nickten Brennan zu und verschwanden. Fennerty steckte den Kopf noch mal ins Zimmer. »Vergessen Sie die
Abendnachrichten nicht, Professor.« Die Tür fiel sanft ins Schloss.
Brennan stand auf und goss Kaffee ein. »Wie Abbott und Costello.« Er fischte in der Jackentasche nach seinem Pfeifenstummel.
»Hast du was dagegen? Vielleicht kriege ich damit den Kaffeegeschmack los.« Er griff nach der Tabaksdose – einer glänzend weißen Gipskopie der Washington-Büste, dem Geschenk einer alten Freundin – und hob die als Deckel funktionierende Schädelplatte.
»So eine Zeitverschwendung!« räsonierte Chandler.
Brennan sah mit einem seltsamen Ausdruck in seinem breiten Gesicht auf. Seine Hand steckte noch in Washingtons Kopf.
»Was ist das?« Er fummelte in der Dose herum und verstreute überall auf dem
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