Aquila
weiße Küche erinnerte ihn an einen Operationssaal: modern und makellos sauber unter bläulichem Licht. »Sie hören sich an wie meine Frau. Mein Sinn für Humor ist das Einzige, was mich geistig gesund erhält. Er ist vielleicht meine beste Eigenschaft.«
Voller Ungeduld sah er zu, wie der letzte Kaffee in die Kanne tropfte. Draußen erschien zu seinem Erstaunen ein heller Fleck am Horizont, dort, wo sich wochenlang nur ein dumpfes, dunkles Grau gezeigt hatte. Ein Hauch von Frühling genügte, um ihn in einem solchen Augenblick aus ausgeprägter geistiger Trägheit oder sogar aus einer Depression zu reißen. Er schenkte sich Kaffee mit Sahne ein, fügte Zucker hinzu, und lud Krasnovskij mit einer Handbewegung ein, sich zu bedienen.
Er zog den schweren Frotteemantel eng um seinen schlanken, muskulösen Körper und ging auf die beheizte Veranda, die den Blick auf ein weites, noch schneebedecktes Feld freigab. Es zog sich bis zu einem sanften Strom hin, auf dem er im Sommer unter riesigen Eichen mit seinen Enkelkindern Spielzeugboote fahren ließ. Sein Blick war immer noch auf den Horizont gerichtet, als er Krasnovskij hinter sich treten hörte. Ob ihn der junge Mann wohl so sah wie er seinerzeit Beria gesehen hatte?
Ob er auch den Drang spürte, ihm das Genick zu brechen? Nein, das war natürlich lächerlich. Beria hatte überhaupt kein Fünkchen Humor.
»Sie werden etwas unternehmen müssen.« Krasnovskij
schlürfte geräuschvoll seinen Kaffee.
»Belehren Sie mich nicht!«
Der Jüngere zuckte die Achseln. »Es ist eine Frage
gegenseitigen Vertrauens. Wir können nicht zulassen, dass unsere Leute unschuldige Bürger umbringen. Das schadet Sangers Leuten und auch uns. Außerdem wollen wir die Polizei nicht zu neugierig werden lassen. Eine Mordserie –«
»Zwei sind keine Serie«, korrigierte Petrow müde. Aber die 158
Haarspalterei führte zu nichts. »Es waren ganz sicher unsere Leute?«
»Ganz sicher. Sie haben keine Ahnung, für wen sie arbeiten.
Das muss ich nicht extra erwähnen.«
»Dann erwähnen Sie’s doch nicht.«
»CANTAB hat sie angeheuert.«
Petrow starrte sein Spiegelbild in der Scheibe an. »Könnten sie vielleicht noch für jemand anders arbeiten?«
»Das spielt doch keine Rolle, oder? Wir kriegen jedenfalls die Schuld in die Schuhe geschoben.«
»Das gebe ich zu.« Er trank einen Schluck Kaffee. Als er die Tasse auf die Untertasse zurückstellte, bemerkte er, dass seine Hände zitterten. Lächelnd wandte er Krasnovskij das Gesicht zu.
»Wissen Sie, es war als reiner Jux gedacht.«
»Ich weiß.«
»Ich wollte Sanger auf die Schippe nehmen.« Er verzog das Gesicht und ging langsam am Fenster entlang. Hin und wieder steckte er seinen Finger in die staubtrockene Erde in den Blumentöpfen. Alles war abgestorben. Die trockenen Blätter knisterten, als leckten Flammen an Pergamentpapier. »Und jetzt pflastern in Boston Leichen unseren Weg. Das ist der Jammer in diesem Geschäft: Dir fällt ein genialer Jux ein, die Versager da draußen verstehen die Feinheiten nicht, und schon laden sie durch und laufen Amok … Schauen Sie sich die Pflanze hier an.
Man kann sich nicht mal drauf verlassen, dass sie einem die Blumen gießen.«
Er hielt seinen staubigen Finger in die Höhe. »Auf jeden Fall ist es kein Jux mehr. Wir müssen sie daran hindern, noch weitere Leute umzubringen. Setzen Sie sich mit CANTAB in Verbindung und lassen Sie die Kerle aus dem Verkehr ziehen.
Haben wir das alles CANTAB zu verdanken?«
»Ich denke schon. Er schien sich Sorgen zu machen.«
Krasnovskij interessierten die Pflanzen seines Vorgesetzten nicht die Bohne – ob frisch oder vertrocknet.
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»Hat er einen Vorschlag, wie es weitergehen soll?«
»Ich hatte den Eindruck, er wäre nicht allzu böse, wenn wir die Brüder über die Klinge springen ließen.«
»Blutrünstig. Erst setzt er sie ein, dann will er sie kalt machen.« Er ging ins Wohnzimmer zurück und legte eine Frank-Sinatra-Platte auf seinen Bang-&-0lufsen. Der Raum füllte sich mit den sanften Klängen von »In the Wee Small Hours of the Morning«. »Hat irgendjemand erwähnt, wo das Dokument ist, nach dem wir suchen? Ich will nicht penetrant werden – aber schließlich hatte die ungute Sache einen Sinn, den wir nicht ganz aus den Augen verlieren sollten. Abgesehen von meinem viel gepriesenen Sinn für Humor hatten wir noch eine Pressekampagne in Erwägung gezogen, die nicht nur Arden Sanger in Verlegenheit bringen dürfte, sondern die gesamten
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