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Aquila

Aquila

Titel: Aquila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gifford
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betrachten konnte.
    »Fangen wir mit dem Porträt von Chandler an«, schlug Colin vor.
    Der alte Herr inspizierte den Rahmen, die Kaschierung auf der Rückseite, die Leinwand. »Wenn Sie sagen, es ist von Winthrop Chandler, so akzeptiere ich das. Es fällt mehr in Ihr Fachgebiet als in meins.« Nach und nach las er aufmerksam Underhills Brief an Percy Davis, dann Bill Davis’ Bericht, wie er das Porträt und die darin verborgenen Dokumente gefunden hatte, danach William Davis’ Brief, den er wie ein rohes Ei behandelte und mit ernsthafter Betroffenheit las. Sein Blick blieb die ganze Zeit auf den Dokumenten haften. Anschließend beschäftigte er sich mit dem Blatt, das die Unterschrift trug. Chandler begegnete Pollys Blick; sie blinzelte ihm zu.
    Prasser legte die Papiere ordentlich vor sich hin. »Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.« Hinter den blassen Augen schien sein Geist zu sortieren, zu verdichten, abzuwägen, welche seiner Gedanken er enthüllen sollte. »Auf der einen Seite haben wir mehrere Morde, auf der anderen diese Dokumente. Es gibt keinen vernünftigen Zweifel, dass die Morde und die Papiere –
    besonders Washingtons Unterschrift – miteinander verknüpft sind. Aber wir wissen nicht, wie und warum.« Er blickte auf und lächelte Polly verhalten zu, während er die Pfeifenasche mit seinem kleinen Mr. Pickwick zusammenpresste. »Was halten Sie davon, meine Liebe?«
    Polly schüttelte den Kopf. »Wir haben uns durch unsere Theorie in eine Sackgasse hineinmanövriert. Ich fürchte, wir haben uns verrannt. Wir wissen nicht mal, ob das Dokument echt ist. Und wir wissen nicht, warum Menschen dafür umgebracht werden.«
    Sie zuckte die Achseln, setzte sich auf den Tisch und fuhr mit dem Finger über die Kanten des Porträts.
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    »Bert, aus welchem Grund könnte jemand so scharf auf das Papier sein?«
    »Es gibt tausend Gründe«, erwiderte Prasser. »Einer davon ist Geld. Für ein Museum oder einen Sammler … oder für eine Institution wie Harvard … hätte es einen unschätzbaren Wert.
    Abgesehen von der gut erhaltenen Unterschrift wären die historischen Implikationen in höchstem Maße aufsehenerregend
    … Heiland, es widerstrebt mir, so unverblümt Klartext zu reden!« Er schob sich vom Tisch zurück und gab sich noch einmal Feuer. »Aber manchmal hat man keine Wahl.«
    »Halten Sie es für echt?«, fragte Chandler.
    »So schnell kann ich das nicht sagen, Colin«, erklärte er. »Das wissen Sie so gut wie ich, Sie kennen die
    Untersuchungsmethoden … Was wir brauchen, ist Zeit. Zeit und Ruhe vor den Stümpern, die Sie verfolgen. Ich muss meine Fühler ausstrecken, Richtung Washington. Bei meinen alten Freunden … oder ihren Nachfolgern … hauptsächlich den Nachfolgern, wenn man’s recht bedenkt …«
    Chandler sah den alten Herrn in nachdenkliches Schweigen versinken. Er sog an dem schwarzen Pfeifenstiel, den er gegen seine eng stehenden, von Nikotin verfärbten Zähne klicken ließ.
    In dem Moment wirkte er sehr alt und alles andere als gesund: Blässe überzog sein einstmals rosiges Gesicht, die Wangen waren eingesunken und gaben seinem Gesicht ein Aussehen, bei dem man an die Kopfjäger vom Amazonas denken musste, die ihre Totenschädel zum Trocknen aufhingen. Polly stützte ihre Ellenbogen auf den Tisch und rieb sich die großen braunen Augen. Chandler konnte sie nicht mehr ansehen, ohne davon zu träumen, diese Augen zu küssen, diese Frau zu lieben. Als er sie über den Tisch hinweg beobachtete, erinnerte er sich daran, wie sich ihre Haut anfühlte.
    Prosser schüttelte den Kopf, als erwache er aus dem Koma. Er blinzelte, sah sich um und fuhr mit der Zunge über die Spitzen seines weißen Schnurrbarts. Seine unsteten Augen kamen 221
    Chandler umwölkt vor; ihn irritierte, dass das Interesse des Mannes plötzlich nachließ. In diesem Augenblick schien Chandler den Schatten eines Toten zu sehen.
    »Am sichersten wäre«, sagte Prosser langsam, »Sie beide aus der Schusslinie zu bringen, bis wir klarer sehen. Ich habe so eine Vorahnung, dass es einen Mordswirbel geben wird, und ich möchte, dass Sie beide dann ganz weit weg sind.« Er klopfte seine Pfeife sorgfältig in dem schweren Aschenbecher aus, wobei er einen kleinen Aschenberg anhäufte. »Könnten Sie sich damit anfreunden, wenn ich einen Unterschlupf für Sie finde?«
    Polly nickte. Chandler sagte: »Hauptsache, wir bleiben am Leben, Bert. Wenn Sie meinen, wir sollten völlig von der Bildfläche verschwinden, bin ich

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