Arabiens Stunde der Wahrheit
Qadhafi hatte sich allzu viele politische Feinde innerhalb der Umma gemacht. Die Thesen seines »Grünen Buches« stieÃen bei den Schriftgelehrten auf offenen Widerspruch. »Am liebsten möchte er ein neuer Kalif werden«, brummte ein mürrischer Beobachter aus Ãgypten.
Den westlichen Geheimdiensten blieb schon damals nicht verborgen, daà der missionarische Ausdehnungsdrang des libyschen Volksführers, der innerhalb der arabischen »Umma« gescheitert war, sich nunmehr nach Süden, auf die afrikanische Sahelzone, richtete. Muammar el-Qadhafi hatte mit der »WeiÃen Garde« der Senussi-Krieger, die ihrem König in der Cyrenaika die Treue halten wollten, kurzen Prozeà gemacht und diese Tariqat unermüdlich verfolgt. Aber nun überfiel ihn selbst jener revolutionär-religiöse Taumel, der einst die fromme Bruderschaft zu ihren Waffentaten befähigt hatte. Die Propagandisten aus Libyen schwärmten neuerdings in die Sahel-Staaten aus. Die Petrodollars flossen in Strömen. 1976 hatte Qadhafi stillschweigend den Aouzou-Streifen im nördlichen Tschad annektiert, wo Uranium vermutet wurde. Seine Agenten schürten den Aufstand der kriegerischen Nomadenvölker in der Tibesti-Wüste gegen die zu jener Zeit überwiegend christliche Regierung des Tschad.
Vielleicht schwebte dem Oberst von Tripolis schon damals die Schaffung einer weitgezogenen »Islamischen Sahel-Republik« vor. Jedenfalls rekrutierte die libysche Jamahiriya eine »Islamische Legion«, in der sich Freiwillige aus einer Vielzahl schwarzafrikanischer Staaten einfanden. Die algerische Abwehr hatte rechtzeitig erfahren, daà die Werber Qadhafis beim Wüstenstamm der Tuareg aktiv geworden waren und daà sie diesen verschleierten Nomaden libysche Pässe aushändigten. Die Tuareg, so argumentierte der Oberst, seien libyschen Ursprungs, und sie hätten auf dem Höhepunkt der Senussi-Bewegung sich diesem »Jihad« begeistert angeschlossen. Von nun an waren die Algerier hellhörig geworden, denn nicht nur im Norden von Mali und Niger nomadisierten die Tuareg;auch im südlichsten Algerien lebten versprengte Gruppen dieser einst so gefürchteten Rasse, deren kriegerische Instinkte offenbar wieder erwacht waren.
Afrikanische Ambitionen
In dem MaÃe, wie der libysche Oberst sich mit seinen arabischen Brüdern überwarf und seine anmaÃende Irrationalität unerträglich wurde, wandte er sich also seinen Glaubensbrüdern in Schwarzafrika zu. Seine Extravaganzen erklärte der sudanesische Staatschef Omar el-Bashir mit zunehmender Schizophrenie. Andere sprachen von Neigungen zu Paranoia. Im Laufe der Jahre ging eine fast furchterregende Verwandlung mit diesem einst attraktiven Beduinen vor sich. Man munkelte, daà er sich â um das fortschreitende Alter zu verbergen â chirurgischen Eingriffen unterzog. Wenn dem so war, müssen die Schönheitsoperationen völlig miÃlungen sein. Seine kühnen Gesichtszüge wurden schwammig und aufgedunsen, fast abstoÃend, so daà der Verdacht aufkam, er habe sich dem Drogenkonsum ergeben.
Die Sucht, in immer neuen, immer bizarreren Verkleidungen aufzutreten, lieÃen Qadhafi fast als Transvestiten erscheinen. Es ging noch an, wenn er den Burnus oder den Baracan, den braunen libyschen Wollmantel der Nomaden, und zur Abwechslung die Gandura der Beduinen anlegte. Aber mehr und mehr verfiel er auf weiÃe Marschall-Uniformen mit zahllosen Orden und Tressen. Die Augen verdeckte er durch eine Sonnenbrille. Um seine negroiden Freunde zu beeindrucken, hüllte er sich in knallbunte Boubous und stülpte die bei ihnen übliche goldene Häuptlingskrone auf sein tiefschwarz gefärbtes Kraushaar. Dieser Mann, der zweifellos über eine beachtliche Intelligenz und sogar über eine gewisse Bildung verfügte, nahm offenbar gar nicht wahr, wie lächerlich, ja grotesk seine Kostümierungen wirkten.
Inder Folgezeit vermehrte er seine pompösen Staatsbesuche in den Sahel-Staaten, die er mit groÃzügigen Spenden und Projekten in seine Abhängigkeit brachte. Mit dem Dutzend Offizieren, die 1969 seine Komplizen beim Staatsstreich gegen König Idris waren, hatte er sich überworfen. Sogar sein engster Vertrauter, Oberst ÂJallud, wurde kaltgestellt. Statt dessen übertrug er die VerwirkÂlichung der ambitiösen Afrikapolitik seinem Sohn Seif el-Islam, »Schwert des Islam« in
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