Arabische Nächte
Hall sich in angenehmer Entfernung zum eleganten Gesellschaftsleben. Was die Abbott-Schwestern betraf, hätte es freilich ebenso gut hundertzwanzig Meilen entfernt sein können, so wenig profitierten sie von der Nähe der Hauptstadt. Unendlich gelangweilt von sanften Hügeln, je nach Jahreszeit grünenden Wiesen und den bukolischen Begebenheiten des Dorflebens, sehnten sie sich nach dem Eintritt ins Gesellschaftsleben und schmiedeten eifrig Pläne dafür. Ein Debüt war freilich ausgeschlossen, da sie keine Anstandsdame hatten, die gewillt war, sie durch die Londoner Saison, ein oftmals tückisches Fahrwasser, zu lotsen, und niemand daran glaubte, dass sich eine solche Person finden würde. Ausgeprägtes Selbstbewusstsein und das Fehlen jeglicher Disziplin hatten im Laufe der Jahre Übermut und Ausgelassenheit dermaßen gefördert, dass es sie die Zuneigung aller weiblicher Anverwandter oder Bekannter gekostet hatte.
Lady Wellsey, eine entfernte Tante, die den Fehler beging, sie zum Tee einzuladen, traf den Nagel auf den Kopf. »Shrewsbu ry-Sträußchen? Shrewsbury-Unkraut würde eher passen!«
Das unter dem strikten Regiment von Butler Bersham stehende Personal besaß Routine darin, den Wildfängen aus dem Weg zu gehen. An diesem Morgen aber horchten alle auf das, was die jungen Damen zu sagen hatten. Sogar die Gouvernante Miss Willow, die neben einem Sideboard saß, das sich unter einem gewaltigen Frühstück bog, von dem sich zu bedienen man sie nicht aufgefordert hatte, spitzte die Ohren. Denn an diesem Morgen besprachen die Schwestern die knapp bevorstehende Ankunft ihrer neuen Stiefmama!
Miss Hyacinthe Abbott leitete die Diskussion. Langgliedrig und fohlenhaft linkisch, besaß sie ein schmales Pferdegesicht, das durch den Mittelscheitel in ihrem schweren dunklen Haar ungünstig betont wurde. »Ich spreche nicht mit ihr. Kein einziges Wort! Warum soll man ihr so viel Bedeutung beimessen? Ich kann mir nicht vorstellen, weshalb Papa seine Pflegerin heiratete.«
»Eine feine Pflegerin! Papa ist tot. Sicher hat sie ihn vergiftet. Das sage ich ihr ins Gesicht«, erklärte Miss Laurel Abbott zwischen zwei herzhaften Bissen von gerösteten Nieren. Eine ungezügelte Liebe für Rebhühner, Teekuchen und Pudding hatte ihr mit einem makellosen Teint gesegnetes Gesicht zu einem wahren Vollmond gedeihen lassen und ihrem Körper Kurven beschert, die ihre Korsettstangen zu sprengen drohten.
»Etwas so Gemeines kann ich nicht glauben. Papa würde nie eine Frau nehmen, die fähig wäre zu ...« Miss Alyssum Abbott, der mittleren Schwester, der einzigen echten Schönheit, fehlten die Worte.
»Nur schlechter Einfluss kann Papa bewogen haben, sich mit einer Frau zu vermählen, die ihm nach Rang und Herkunft und ...« Die inzwischen vierzehnjährige, zur Widerborstigkeit neigende Miss Cynara hielt inne, um die dickste Niere energisch mit der Gabel aufzuspießen und sich auf ihren Teller zu laden, »... allem nicht ebenbürtig ist.«
»V-vielleicht ist sie besser, als wir zu hoffen wagen.« Miss
Peony, mit zwölf Jahren die Jüngste, blickte in der Erwartung um sich, unter ihren Schwestern eine Verbündete zu finden.
»Ach, du würdest auch noch für die Schlange Partei ergreifen, die Kleopatra gebissen hat!« Cynara schob angeekelt den Teller von sich, die heiß geliebte Niere blieb unberührt.
»W-wer ist Kleopatra ?«, fragte Peony.
»Einerlei, meine Liebe.« Laurel griff nach einem Stück Toast und untersuchte es nach Maden, da sie überzeugt war, dass die Köchin sie aus Bosheit ins Mehl mischte. Vermutlich hatte sie die Köchin etwas voreilig der Dieberei bezichtigt; doch wiesen die Rechnungen Beträge aus, die den Bedarf fünf junger Damen bei weitem überschritten.
»Das alles ist irgendwie komisch«, bemerkte Alyssum leise. »Warum hat sie ein ganzes Jahr mit der Ankunft gewartet?«
»Vielleicht war sie zu traurig, um die weite Reise zu machen«, meinte Peony, die als einzige der Schwestern noch immer den Vater betrauerte, den sie kaum kannten.
»Es hat sie nicht daran gehindert, den armen Papa sofort wie ein Stück Pökelfleisch nach Hause zu schicken«, verkündete Cynara.
»Vermutlich ist ihr das Geld ausgegangen, das Papa ihr gab, und sie hofft nun, von uns etwas zu erhalten.« Laurel gab kühn der größten Sorge der Schwestern Ausdruck. »Sicher hat sie es auf das Vermögen der Shrewsburys abgesehen!«
»Das würde zu ihr passen.« Hyacinthes Nasenspitze zuckte. »Von einer Inderin kann man nichts
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