Arabische Nächte
Seufzend schüttelte Aggie den Kopf. »Vermählt, verwitwet und schwanger binnen guter zwei Wochen! Das ist ein turbulenter Anfang für ein Eheleben.«
»Aggie, ich schäme mich ja so! Was werden die Leute denken?«
Von Sentimentalität war bei Aggie keine Spur, dafür verfügte sie über einen geradezu beängstigenden Beschützerinstinkt. »Gar nichts, glaube ich. Dass eine gesunde Braut bald in anderen Umständen ist, kommt nicht unerwartet.«
»Aber, Aggie ...« Sie errötete heftig. »Der Viscount war zu krank, um ... um die Ehe zu vollziehen.«
Ihre Vertraute meinte unverblümt: »Du kennst die Männer nicht, wenn du annimmst, so eine Kleinigkeit wie der Schatten des Todes könnte sie vom Bett einer jungen Frau abhalten.« Sie verschränkte die Arme mit stoischer Miene. »Du bist eine verheiratete Frau. Welche weitere Erklärung benötigt man da?«
»Die Leute werden reden«, mutmaßte Japonica weiterhin.
»Ja, schon. Aber beweisen können sie nichts.« Mit gefurchter Stirn dachte sie angestrengt nach. »Zwischen der Untat und der Hochzeit liegen keine zwei Wochen - deshalb wird dich das Geburtsdatum nicht verraten.«
»Aber was ist mit dem Kind?«
Aggie hielt ihren Blick fest. »Möchtest du es?«
»Ich ... ja.« So sehr die Antwort sie selbst erstaunte, entsprach sie doch der Wahrheit. »Heiraten ist mir nie in den Sinn gekommen - also dachte ich auch nie daran, Mutter zu werden. Nun bin ich das eine und werde auch bald das andere sein. Ein Wunder in gewisser Weise ...«
»Nun ja, es gibt solche und solche Weisen«, brummte Aggie.
Japonica schlang die Arme um den Hals der alten Frau und drückte ihre Wange an deren Busen, wie sie es als Kind oft getan hatte. »Aggie, bin ich ein schlechter Mensch?«
»Nein, meine Liebe.« Aggie strich ihr übers Haar. »Du bist nicht das erste und wirst nicht das letzte Mädchen sein, dem ein Teufel von Mann listig die Unschuld raubt.«
»Aber was soll ich tun? Ich kann das Kind nicht in England zur Welt bringen.«
»Und warum nicht, bitte sehr?« Ihre Miene nahm einen gewitzten Ausdruck an. »Es ist nur recht und billig, dass das Kind der Viscountess Shrewsbury auf dem Ahnensitz geboren wird. Alle Gerüchte werden rasch verstummen, wenn die Töchter des Viscount als Zeugen zugegen sind.«
»Aber es ist nicht das Kind des Viscount!«
»Die Welt würde die Wahrheit nur dazu benutzen, sie gegen dich zu verwenden.« Sie nahm Japonicas Gesicht in ihre rauen Hände. »Du bist jetzt eine Dame. Was immer die Leute glauben, niemand wird offen einen Verdacht aussprechen.« Matt kräuselte Japonica die Mundwinkel. »Und wenn das Kind so exotisch aussieht wie der Hind Div?«
»In dem Fall kannst du den kleinen Teufel ins Meer werfen.«
»Niemals!«
Aggie lächelte - ein so seltenes Ereignis, dass es ihr Gesicht völlig veränderte. »Dann werden wir uns etwas einfallen lassen müssen.«
Zum ersten Mal seit Tagen entspannte Japonica sich. »Du scheinst zu glauben, dass wir das alles ganz leicht bewältigen.«
Nun trat wieder Aggies gewohnter mürrischer Ausdruck in Erscheinung. »Ein Körper tut, was ein Körper muss. Zuweilen sind jene Dinge am härtesten, die sein müssen.«
Leicht würde es nicht werden.
Japonica lehnte sich an die Reling und blickte hinaus auf die unendliche Weite des Ozeans, der sich bis zum Horizont erstreckte. Sie fühlte sich so einsam, als wäre sie in den Sanddünen einer Wüste gestrandet. England erreichten sie erst in einem Monat. Von der Heimat war sie weit entfernt. Zurück konnte sie nicht und nach England wollte sie im Grunde auch nicht. Was also sollte sie tun?
»Ich frage mich, wann du mich in Erstaunen versetzt.« Der Meerwind schien ihr die Stimme des Hind Div zuzuwehen.
Unter ihrem Umhang betastete sie ihren leicht gerundeten Leib. Sie hatte geglaubt, der Hind Div sei mit seinem Tod aus ihrem Leben verschwunden. Jetzt wusste sie, dass ein Teil von ihm in ihr Wurzeln geschlagen hatte. Es war sein letztes und dem Tod trotzendes Manöver.
Ihr stand also doch eine Fortsetzung des Abenteuers bevor.
Zweiter Teil
Vergangnes Unheil zu beweinen, Zieht neues mit Gewissheit an.
William Shakespeare
Hewlett-Packard
4
England, November 1809
Ein prasselndes Feuer verbannte die Kälte des frühen und für die Gegend seltenen Schneefalls in die entferntesten Winkel des Frühstücksraumes auf Croesus Hall, des fantasievoll benannten Familiensitzes der Shrewsburys. Etwa dreiundzwanzig Meilen außerhalb Londons gelegen, befand Croesus
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