Arabische Nächte
ihre Müdigkeit es zuließ. »Eine Überraschung muss ja nicht immer unangenehm sein. Sicher werden wir nach näherer Bekanntschaft wunderbar miteinander auskommen.«
»Das bezweifle ich«, gab Hyacinthe zurück. »Sie stehen, wie vermutet, so weit unter uns wie wir über Ihnen.« Sich zu voller Größe aufrichtend, überragte sie den Neuankömmling um fünf Zoll. »Allein Ihre Ankunft in einer Postkutsche zeigt einen erschreckenden Mangel an Stil. Vermutlich trifft Ihre Zofe in einem Ponykarren ein.«
»Ich habe keine Zofe«, antwortete Japonica wahrheitsgemäß.
»Keine Zofe?«, wiederholte Laurel in einem Ton, dass Japonica die Röte in die Wangen schoss.
»Jede Dame hat eine Zofe«, verkündete Alyssum, als könne sie damit die Situation retten.
»Jede Dame«, präzisierte Laurel mit Betonung auf dem zweiten Wort.
In Japonicas Kopf setzte dumpfes Dröhnen ein. »Die Reise war sehr strapaziös. Ich unternahm sie nur, um die Bekanntschaft ...«
Hyacinthe unterbrach sie mit einer jähen Geste, ihre Machtposition auskostend. »Der Grund für Ihr Kommen interessiert uns nicht im Geringsten. Wenn Sie einen Hauch Einfühlungsvermögen besäßen, wären Sie nach Vaters Tod direkt nach England gekommen.«
Befriedigt registrierte sie, wie der ungebetene Gast erbleichte. »Ich erklärte in einem Brief, dass mein verspätetes Kommen sich nicht vermeiden ließ.«
»Das sagen Sie.« Hyacinthe rümpfte die Nase. »Nehmen Sie zur Kenntnis, dass hier kein Platz für Sie ist. In diesem Haus wird Sie kein Mensch als Angehörige betrachten.«
»Und sicher nicht als Stiefmama!«, ergänzte Laurel.
»Niemals!«, ertönte der Chor der übrigen Drei.
Japonica senkte den Blick, mit Wut und Verlegenheit ringend. Sie hatte nicht erwartet, mit offenen Armen empfangen zu werden; doch das Ausmaß an Feindseligkeit dieser fünf Mädchen bereitete ihr einige Übelkeit, die die aus den Tiefen des Hauses dringenden Düfte von Braten und frischem Brot noch steigerten. Seit Tagen schon hatte sie nicht ordentlich gegessen, doch tat sie dies als unwichtig ab. Im Moment brauchte sie nichts dringender als ein wenig Ruhe, um ihre Gedanken zu sammeln.
Sie sah sich nach einer Ablenkung um und bemerkte ein Feuer, das jenseits des Raumes brannte, in dem sie sich befanden. »Ach, wunderbar. Ein Feuer!« Forsch ging sie darauf zu, als hätte man sie dazu aufgefordert. Ob die anderen ihr folgten, kümmerte sie nicht, solange sie sich einen Moment ihrer kollektiven Missbilligung entziehen konnte.
Als sie den anschließenden Raum betrat, nahm sie den Hut ab.
»Rotes Haar!«
»Haben Inder rotes Haar?«
»Mischlinge schon!«
Die hinter ihr geflüsterten Worte drangen hörbar an ihr Ohr. Japonica warf keinen Blick zurück. Sie hielt inne, um ihren Hut auf ein Tischchen zu legen; dann nahm sie den schweren afghanischen Schaffellumhang von den Schultern und breitete ihn über den Rücken eines kleinen Sofas, ehe sie vor den Kamin trat. Als sie die Hände ans Feuer hielt, begrüßte die sengende Hitze sie wie ein alter Freund. Ja, genau das brauchte sie jetzt.
Lächelnd drehte sie sich um und sah, dass die Abbott-Mädchen ihr auf Abstand gefolgt waren. »Wir sollten einander kennen lernen. Wollt ihr mir nicht etwas von euch erzählen?«
»Ich sehe keinen Grund dafür«, schnappte Hyacinthe.
»Dann werde ich dir einen nennen.« Japonica rieb sich die von der Kälte rauen und geröteten Hände. Sie hatte nicht die Absicht gehabt, mit den Bedingungen zu beginnen, durch die sie aneinander gebunden waren; doch empfahl es sich vielleicht, sie von Anfang an ins Bild zu setzen. »Ich versprach eurem Vater feierlich, eure Vormundschaft so lange zu übernehmen, bis ihr alle verheiratet seid.« Ob das mit Hyacinthe klappen würde, bezweifelte sie. »Oder bis passende Vereinbarungen getroffen werden.«
»Anscheinend sollen wir glauben, Vater hätte Sie aus freien Stücken zu seiner Viscountess gemacht?« Hyacinthe beäugte sie wie eine kranke Kuh. »Sie haben weder Stil noch Schliff. Ihr Aussehen und Ihre Sprache verraten allzu deutlich Ihre bürgerliche Herkunft. Unerhört!«
Wie auf ein Stichwort hin drückte Laurel eine Hand an ihren üppigen Busen und rief theatralisch aus: »Armer Vater! Alt und gebrechlich, allein in einem fremden Land!«
Cynara trat einen Schritt auf Japonica zu. »Geben Sie es zu: Sie haben Papa die Ehe aufgezwungen!«
»Falls es überhaupt zur Heirat kam.« Dies äußerte Hyacinthe in selbstgefällig-genüsslichem Ton.
Japonica
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