ARALORN - Der Verrat (German Edition)
Leben verübt hat, trage ich diesen Titel nicht mehr – er gebührt jetzt Lord Kisrah, der nun die Meisterzauber bewahrt. Du kannst mich mit Geoffrey anreden, wenn du willst.«
»Danke«, entgegnete Nevyn.
»Mein Sohn ist dieser Wolf«, fuhr Geoffrey fort. »Die Kombination aus meiner Magie mit der seiner Mutter hatte zur Folge, dass unser Nachkomme imstande ist, diese Gestalt anzunehmen, als wäre es seine eigene. Sei auf der Hut, wenn er in der Nähe ist.«
Nevyn nickte. »Ich werde daran denken.«
»Gut.« Geoffrey lächelte. »Du siehst erschöpft aus. Warum legst du dich nicht schlafen? Heute Nacht wird nichts mehr passieren.«
Mit einem Mal hatte Nevyn das Gefühl, noch niemals in seinem Leben so müde gewesen zu sein. Noch bevor Geoffrey den Raum verlassen hatte, schließ er tief und fest.
In ihrem Schlafgemach trat Aralorn hinter den Paravent, um sich ihr zerrissenes Kleid und die Schuhe auszuziehen. Während sie an ihrem ausgestreckten Bein die Zehen hochzog, um ihre protestierenden Wadenmuskeln zu dehnen, hörte sie, wie Wolf die Kohlen in der Feuerstelle schürte.
»Konntest du feststellen, ob mein Vater von Menschenmagie attackiert worden ist?«, fragte sie. Sie zog ein Nachtgewand von dem Paravent und begutachtete es neugierig. Es hatte die Farbe von Altgold und war rot bestickt; die Handwerkskunst war um Etliches feiner als alles, was sie jemals zustande gebracht hatte. »Ich bin nicht nah genug herangekommen.«
»Ich weiß es nicht«, entgegnete Wolf nach kurzem Zögern. »Die Magie in dem Raum hat sich nicht wie Menschenmagie angefühlt – jedenfalls nicht ausnahmslos. Aber wie grüne Magie auch nicht.« Es folgte ein Pause, dann fuhr er mit leiserer Stimme fort: »Allerdings war da reichlich schwarze Magie. Vielleicht eine Folge der Korrumpierung, weshalb sich schwer sagen lässt, ob ein Mensch oder einer deiner Verwandten dafür verantwortlich ist.«
»Hier ist so gut wie jeder ein Verwandter von mir.« Sie streifte das Nachtgewand über und seufzte. Das Kleidungsstück passte vorne und hinten nicht, da es offensichtlich einer ihrer Schwestern gehörte. Die viel zu langen Ärmel reichten ihr fast bis zu den Fingerspitzen, und der Saum fiel in unordentlichen Falten auf ihre Füße. Sie kam sich wie ein kleines Kind vor, das Verkleiden spielte.
»Wenn es Menschenmagie ist, dann ist Nevyn der wahrscheinlichste Täter.«
Wolf hörte den Unterton in ihren Worten wohl heraus. »Du findest das weit hergeholt?«
»Sagen wir einfach, ich würde eher die Gestaltwandler verdächtigen – eher mich selbst verdächtigen –, bevor ich bereit wäre zu glauben, dass Nevyn meinem Vater etwas zuleide getan hat.« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, doch der Stoff des Gewands schlug immer noch unschöne Falten. »Mir, ja – aber nicht meinem Vater. Als Nevyn hier eintraf … war in ihm innerlich etwas zerbrochen. Mein Vater hat ihn als einen von uns aufgenommen. Er hat ihn zusammengestaucht, aber auch an seine Brust gedrückt, und Nevyn wusste nie, was er von ihm zu halten hatte.« Aralorn lächelte, erinnerte sich an den verwirrten jungen Mann, der nach seiner Ankunft auf Lammfeste erwartet hatte, vom Löwen genauso abgelehnt zu werden, wie er von allen anderen abgelehnt worden war. »Nevyn würde meinem Vater niemals schaden.«
»Was willst du jetzt also tun?«
»Ich würde morgen gern den Bruder meiner Mutter aufsuchen und hören, was er dazu zu sagen hat. Wenn er dahintersteckt, wird er es mir erzählen – mein Onkel ist so. Wenn nicht, werde ich ihn bitten, einen Blick auf dieses Schattenbiest zu werfen. Er ist mit den meisten unheimlichen Dingen, die hier in den Bergen leben, ziemlich vertraut.«
Sie versuchte ihre Ärmel hochzukrempeln. »Ach übrigens, hast du den Alkoven mit einem Abwehrzauber belegt, um Neugierige draußen zu halten, oder müssen wir uns in diesem Punkt auf Irrennas Wachen verlassen?« Der weiche Stoff entrollte sich wieder so mühelos, wie Wasser einen Berghang hinunterfloss.
»Ich hab Schutzmaßnahmen getroffen.«
Aralorn kam zu dem Schluss, dass sich bezüglich des Nachtgewands wohl nichts machen ließ und trat hinter dem Paravent hervor. Wolf legte den Schürhaken beiseite und wandte ihr sein unmaskiertes, vernarbtes Gesicht zu. Als er ihre Aufmachung erblickte, hob er eine Braue; eine unheilige Belustigung funkelte in seinen Augen.
»Du siehst aus, als wärst du gerade mal zehn Jahre«, sagte er, machte dann eine Pause und schaute auf ihre Brust. »Abgesehen
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