ARALORN - Der Verrat (German Edition)
natürlich von gewissen Attributen, die bei Zehnjährigen eher selten zu finden sind.«
»Sehr witzig«, erwiderte Aralorn mit aller Würde, die sie aufzubringen vermochte. »Es soll Leute geben, die sich nicht einfach mal ihre Sachen von dort herbeizaubern können, wo sie sie zuletzt zurückgelassen haben. Ein paar von uns müssen leider mit dem vorliebnehmen, was ihnen angeboten wird.«
»Und ein paar von uns können nichts anderes als sich immer nur beschweren«, setzte Wolf hinzu und vollführte eine knappe Geste in ihre Richtung.
Im selben Moment spürte Aralorn das vertraute Prickeln von Menschenmagie, und ihr Nachtgewand schrumpfte auf eine beherrschbare Größe. »Besten Dank. Jetzt weiß ich auch wieder, warum ich dich so gern in meiner Nähe weiß.«
Er verbeugte sich affektiert; seine Zähne blitzten in dem gedämpften Licht des Raums weiß auf. »Stets zu Ihrer Lady Diensten, sagte die Zofe.«
Aralorn schnaubte. »Irgendwie«, entgegnete sie trocken, »glaube ich nicht, dass du für derlei Tätigkeiten die geeignete Person wärst. Keine Lady, die diese Bezeichnung verdient, würde dich auch nur nah genug an sich heranlassen, um ihr das Korsett zu schnüren … öffnen vielleicht, aber nicht schnüren.«
Auf dem Weg zum Bett ging Wolf an ihr vorbei und wuschelte ihr durchs Haar. »Ich ziehe Söldnerinnen vor.«
Sie nickte ernst. »Ja, das hat man über euch Zauberer schon gehört.«
Eng an Wolf geschmiegt war sie gerade kurz davor, in den Schlaf hinüberzugleiten, als er sagte: »Bisher hab ich angenommen, dass es ein Zauber ist, aber es könnte auch etwas sein, das das Schattenwesen mit ihm macht.«
Sie gähnte. »Schlaf.«
Er schwieg, aber sie konnte förmlich spüren, wie seine Gedanken arbeiteten.
»Also schön, also schön«, schimpfte sie schließlich und wälzte sich resignierend auf den Rücken. »Warum glaubst du, dass es das Schattenwesen ist, das von meinem Vater Besitz ergriffen hat?«
»Das hab ich nicht gesagt«, korrigierte er sie. »Aber wir wissen nichts über das Ding oder über den Zauber, der deinen Vater gefangen hält. Du bist die Geschichtensammlerin. Hast du schon mal irgendetwas über eine Kreatur gehört, die ihre Opfer in einen todesähnlichen Zustand versetzt?«
»Spinnen«, fiel ihr spontan dazu ein. Sie war jetzt hellwach. Aus irgendeinem Grunde war sie davon ausgegangen, dass der Löwe, da er noch am Leben war, auch am Leben bleiben würde, bis sie und Wolf einen Weg gefunden hatten, ihn zu befreien.
»Du weißt, was ich meine«, sagte Wolf. »Gibt es in dieser Welt irgendetwas, das Magie benutzt, um eine Beute von der Größe eines Menschen zu fesseln?«
»Nein«, sagte sie, dann, etwas widerstrebend: »Jedenfalls nicht, dass ich wüsste – aber es gibt ’ne Menge seltsamer Kreaturen, über die ich nicht viel weiß. Die Berge von Nordreth gehören zu den zuletzt besiedelten Gebieten. Mit dem Vordringen der Menschen in andere Gegenden wurden viele der alten Wesen hierher vertrieben. Angeblich sind die meisten der wirklich gefährlichen Kreaturen den Magierkriegen zum Opfer gefallen – aber die Drachen haben überlebt, warum also nicht auch andere Geschöpfe. Damit hätten wir einen ganzen Haufen in Frage kommende Übeltäter, von Ungeheuern bis hin zu Göttern.«
»Göttern?«, fragte er.
Sie hörte den Hohn in seiner Stimme und tätschelte besänftigend seine Brust. Wolf war, wie ihr vor langer Zeit schon klar geworden war, ein hoffnungsloser Spötter und Zweifler. »Wenn der Schmied Waffen angefertigt hat, um die Götter zu töten, dann muss es auch Götter zum Töten gegeben haben. Du musst wissen, dass eben diese Feste hier einmal verflucht war. Die Legende erzählt, dass einer der Großmeister, die die Magierkriege anzettelten, einen Tempel niederreißen ließ, der Ridane, der Göttin des Todes, geweiht war, um hier seine Burg zu errichten.« Sie senkte ihre Stimme zu einem angstvollen Flüstern. »Es heißt, dass Ihr Gelächter, als er starb, so fürchterlich war, dass alle, die es hörten, auch starben.«
»Und wie hat die Nachwelt dann erfahren, dass Sie gelacht hat«, fragte Wolf.
Sie knuffte ihn etwas härter. »Verdirb nicht die Stimmung.«
Seine Schultern erbebten verdächtig, aber er schwieg. Sie schmiegte sich wieder an ihn, schob ihre Hand unter seinen Arm.
»Mein Onkel«, sagte sie, »hat mir erzählt, dass die Gestaltwandler bereits in diesen Bergen lebten, lange bevor die Menschen so weit nach Norden gekommen sind. Sie haben sich hier
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