ARALORN - Die Wandlerin: Roman (German Edition)
gebaut, wiewohl flink.«
Nein, das war sie nicht, aber dennoch … grüne Augen. Er hatte diese Sklavin vor allem deshalb gekauft, weil sie graugrüne Augen gehabt hatte, Gestaltwandleraugen. Blaugrün, graugrün – zwei Bezeichnungen für dieselbe Farbe.
»Du sagst, sie hatte ein besonderes Talent für Verkleidung?«
Aralorn war zu müde zum Aufwachen, als die Decken zurückgezogen wurden und die kalte Luft über ihren warmen Körper strich. Sanfte Finger betasteten prüfend ihre Rippen. Sie ächzte, verspürte jedoch immer noch nicht das Bedürfnis, die Augen zu öffnen. Sie hörte einen leisen, bestürzten Laut, als die Bandagen von ihren Händen entfernt wurden. Eine Berührung an ihrer Stirn schickte sie zurück in den Schlaf.
Es war das Geräusch einer Stimme, das sie wenige Minuten darauf das zweite Mal weckte. Wesentlich energischer jetzt. Die Übelkeit, der übliche Begleiter des Bettlersegens, war verschwunden.
Sie stellte fest, dass sie sich in der Bibliothek befand, eingehüllt in eine hellfarbene Decke. Ein ihr wohlvertrauter Mantel, Wolfs Mantel, lag achtlos hingeworfen über der Lehne des Sofas. Männerstimmen näherten sich.
Sie fragte sich, wie sie die lange Reise zurück ins Lager hatte durchschlafen können – hatte er nicht gesagt, es wäre ihm nicht möglich gewesen, den Kaufmann auf magische Weise die gesamte Strecke bis hierher zu befördern?
Mühsam richtete sie sich auf, nur um zu realisieren, dass die am Boden verstreute Kleidung die war, die sie zuvor angehabt hatte. Hastig zog sie sich die Decke ans Kinn, ihre Blöße zu bedecken, als auch schon Myr um eines der Bücherregale herum kam.
»Ah«, sagte Myr mit breitem Lächeln, »ich sehe, dass Ihr nach Euren Erfahrungen mit der Gastfreundschaft des ae’Magi doch mehr oder minder intakt seid. Wenngleich ich sagen muss, dass es eine ganze Weile dauern wird, bevor ich Euch wieder irgendwas zum Anziehen borge. Gar so viel hab ich nicht dabei.« Die Freude und Erleichterung in seiner Stimme waren echt, und sie war überrascht und fühlte sich nicht wenig geschmeichelt, dass er sich um jemanden, den er erst so kurze Zeit kannte, in dem Maße sorgte.
Aralorn erwiderte sein Lächeln und öffnete bereits den Mund, um etwas zu entgegnen, doch dann sah sie, dass Wolf, der hinter Myr hereingekommen war, angespannt auf ihre Hände schaute. Sie folgte seinem Blick hinab zu der Stelle, wo ihre Hände den Saum der Decke umfassten. Zehn kräftige Fingernägel gruben sich dort in den Stoff. Der Bettlersegen hatte offenbar auch ihre Sinne an den Bettelstab gebracht; sie hatte nicht einmal bemerkt, dass sie gar keine Schmerzen mehr hatte.
Geistesabwesend antwortete Aralorn dem König: »Ja. Obwohl er nicht der beste Gastgeber war. Ich hab ihn während meiner Anwesenheit nur ein- oder zweimal gesehen.«
Myr hockte sich ans Ende des Sofas und sah ausnahmsweise einmal so jung aus, wie er war. »Und das, wo er sich doch immer so viel einbildet auf die zuvorkommende Behandlung seiner Gäste«, erwiderte er und schüttelte traurig den Kopf. »Sieht nicht mal so aus, als hätte er Euch irgendwelche Andenken zur Erinnerung an Euren Besuch vermacht.«
»Wie man’s nimmt«, sagte Aralorn und schaute abermals auf ihre Hände, sich äußerst bewusst, dass Wolf das gleiche tat. »Ihr wisst, dass er das hat, denn als ich das letzte Mal nachgesehen hab, haben mir die Fingernägel gefehlt.«
»Was macht dein Husten?«, fragte Wolf.
Aralorn atmete tief durch. »Weg. Ist das auch das Werk deines Heilers?« Sie hätte nicht fragen müssen, hätte sich denken können, dass es Wolf gewesen war, doch der sah sie nur mit einem seltsamen Gesichtsausdruck an.
Dann schüttelte er den Kopf. »Nein, ich sagte doch, dass er nicht kundig genug war, um mehr zu tun, als er gemacht hat.«
Wolfs Blick wanderte zu Myr. »Ich hab ein paar Neue gesehen, ist irgendjemand von ihnen Heiler?«
»Nein«, erwiderte Myr mit unüberhörbarem Ärger in der Stimme. »Und auch nicht Jäger oder Gerber oder Koch. Wir haben sechs weitere Kinder, zwei Adelige und einen Barden. Der einzige, der von einigem Nutzen ist, ist der Barde, er versteht sich ganz passabel auf den Umgang mit seinen Messern. Die beiden Adelsherrschaften sitzen entweder rum und schauen den anderen bei der Arbeit zu, oder sie geruhen im Haupthöhlensystem zu lustwandeln, was regelmäßig damit endet, dass wir ihnen einen Suchtrupp hinterherschicken müssen.«
»Vielleicht solltet Ihr sie beim nächsten Mal einfach
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