ARALORN - Die Wandlerin: Roman (German Edition)
setzte er sich und malte mit dem Finger eine der Maserungen auf der Schreibtischplatte nach.
»Ich hatte ihn«, sagte er laut. »Ich hatte den Köder, und er ist gekommen – aber ich habe meine Chance vertan. Ich hätte es spüren müssen, hätte wissen müssen, dass sie mehr war.« Er dachte über die Frau nach. Was war so Besonderes an ihr? Was hatte sie, das seinen Sohn anzuziehen vermochte?
Grimmig zog er den Stöpsel aus der Kristallkaraffe, die auf seinem Schreibtisch stand, und schenkte sich ein Glas hellen Wein ein. Er hielt es gegen das Licht, schwenkte die Flüssigkeit darin und bewunderte deren feingoldene Farbe – der gleiche Ton wie der von Cains Augen. Dann leerte er das Glas in einem Zug aus und wischte sich mit dem Handgelenk über den Mund.
»Aber noch ist nicht aller Tage Abend, mein Sohn. Ich weiß, dass du tatkräftig gegen mich arbeitest. Du kannst nicht unsichtbar bleiben, wenn du in die Offensive gehen willst, und dann werde ich dich finden. Die Frau ist der Schlüssel.«
Er murmelte einen geringen Herbeirufungsspruch und musste nur wenige Augenblicke warten, bis dieser durch ein Klopfen an der Tür beantwortet wurde. Auf seine Aufforderung hin trat der Uriah, der einst ein Sianim-Söldner gewesen war, in die Studierstube ein. Die Söldner gaben hervorragende Uriah ab. Sie hielten viel länger durch als die, die er aus Bauern erschaffen hatte. Dieser hier würde sich vielleicht sogar Jahre bewähren. Die alten Zauberer hatten, was diesen Punkt betraf, mehr zustande gebracht – ihre Geschöpfe trieben immer noch ihr Unwesen, obwohl ihre Erschaffung bis in die Zeit der Magierkriege zurückreichte.
Er wünschte, die zweite Hälfte des Buches wäre nicht zerstört. Jahrelang hatte er nach noch einer unversehrten Ausgabe gesucht, aber er befürchtete, dass es keine mehr gab.
»Du bist der, welcher behauptet, ihm wäre die Frau bekannt, die ihr von Myrs Lager mitgebracht habt?«, fragte der ae’Magi.
Der Uriah neigte zustimmend den Kopf.
»Erzähl mir von ihr. Wie ist ihr Name? Woher kennst du sie?«
Eine weitere Krux mit den Uriah, abgesehen von ihrer Kurzlebigkeit, war, dass die Verständigung mit ihnen einiges zu wünschen übrig ließ. Auskunft erhielt man von ihnen nur auf gezielte Nachfrage hin, und selbst dann war nicht ausgeschlossen, dass wesentliche Fakten durch den Rost fielen. Sie waren gute Soldaten, aber als Kundschafter oder Spione absolut nicht zu gebrauchen.
»Aralorn. Kenn sie aus Sianim«, antwortete der Uriah.
Sianim. Ging das Problem inzwischen schon über Reth hinaus?
»Was hat sie in Sianim gemacht?«
Der Uriah zuckte gleichgültig die Achseln. »Stabkampf unterrichtet. Für den Meisterspion den einen und anderen Auftrag erledigt, wie viele genau weiß ich nicht.«
»Sie hat als Spionin gearbeitet?«, hakte der Erzmagier nach.
»Ren die Maus schert sich nicht viel um Formsachen. Er beauftragt, wer immer ihm nützlich sein könnte. Aber ihrem andauernden Kommen und Gehen nach zu urteilen, hat sie häufiger für ihn gearbeitet, als man vielleicht denkt.«
»Erzähl mir mehr über sie.«
»Sie hat ein besonderes Talent für Verkleidung und Sprachen. Kann sich überall perfekt einfügen, aber ich glaube, sie kommt ursprünglich aus Reth.« Der Uriah lächelte. »Sie benutzt zu selten das Schwert.«
Er hat sie gemocht , dachte der ae’Magi. Der Mann hat sie gemocht . Der Uriah war nicht mehr als ein hungriges Tier, aber er erinnerte sich an das, was der Mann gewusst hatte.
Und dann sagte der Uriah: »Rennt mit so einem verdammt großen Wolf durch die Gegend. Hat ihn irgendwo ihn den Nordlanden aufgestöbert und mit nach Hause genommen.«
»Mit einem Wolf?« Der ae’Magi runzelte die Stirn.
»Diese gelben Augen haben immer alle ganz nervös gemacht«, erwiderte der Uriah.
Jäh schoss dem ae’Magi durch den Kopf, dass vor nicht allzu langer Zeit schon einmal jemand aus seiner Burg entkommen war. Das Mädchen hatte Hilfe von einem Wolf gehabt – oder einem Rudel Wölfe; eine gute Hand voll Uriah des ae’Magi waren ihm zum Opfer gefallen, nachdem sie unerklärlicherweise weiter ihm nachgesetzt hatten anstatt, wie ihnen aufgetragen worden war, dem Mädchen.
Er versuchte sich zu erinnern, wie diese Aralorn ausgesehen hatte – er hätte es ganz sicher bemerkt, wenn sie von solch exotischem Liebreiz gewesen wäre wie seine Nordlandschönheit.
»Beschreib sie mir.«
»Sie ist klein. Und hellhäutig, selbst im Sommer. Braune Haare, blaugrüne Augen. Kräftig
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