ARALORN - Die Wandlerin: Roman (German Edition)
sofern man sie also nicht schon vorher entdeckt hatte, waren sie für den Augenblick sicher. Wolf prüfte mit seinen anderen Sinnen die unmittelbare Umgebung, um herauszufinden, wo die Uriah steckten. Es war nicht schwer. Er war einigermaßen überrascht, dass sie nicht bereits über einen von ihnen gestolpert waren. Wie es schien, war sein Vater ziemlich fleißig gewesen. Es hielt sich mittlerweile ein ganzer Haufen von den Biestern im näheren Umkreis auf. Wartend.
Er hatte einmal eine Spinne in ihrem Netz beobachtet. Fasziniert hatte er versucht dahinterzukommen, was sie wohl dachte, während sie darauf wartete, dass ihre Beute sich in den dünnen Fäden verstrickte. Dasselbe Gefühl gaben ihm die Uriah. Er fragte sich, ob er womöglich das Opfer in diesem Netz war.
Er dachte bereits daran umzukehren. Wenn der ae’Magi wusste, dass er hier war, war es vielleicht besser, ein andermal wiederzukommen. Doch nach kurzem Zögern zuckte er die Achseln und ging, vorsichtiger nun, weiter. Der ae’Magi kannte seinen Sohn gut genug, um zu wissen, dass er über kurz oder lang hier erscheinen würde; ein Überraschungsauftritt hätte da keinen Unterschied gemacht.
Aralorn vergrub ihr Gesicht in dem erbärmlichen Schutzschild, den Wolfs Hemd darstellte, und versuchte, den Gestank auszusperren. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund waren die Ausdünstungen der Uriah noch schlimmer als das Geheul, das sie vor der Höhle veranstaltet hatten. Talors Stimme zu hören, seine Augen zu sehen in jener grotesken Verhöhnung eines menschlichen Gesichts, hatte sie gleichzeitig sich erbrechen und weinen lassen wollen. Und das tat es noch immer.
Als sie meinte, sich wieder einigermaßen im Griff zu haben, blieb Wolf ein zweites Mal stehen, setzte sie auf dem Boden ab und bedeutete ihr, sich zu verstecken. Er zögerte einen Moment und nahm dann seine vertraute wölfische Form an, bevor er hinaus auf die Lichtung stob.
Der ae’Magi saß bewegungslos auf dem Boden, die Arme und Beine in vorbildliche Meditationsstellung gebracht. Ein kleines Feuer tanzte zwischen ihm und dem Wolf. Der Schein des gerade aufgegangenen Mondes verfing sich in den klaren Zügen des grausamen Erzmagiers und offenbarte die ungewöhnliche Schönheit darin. Die Lachfalten um seine Augen und die Adlernase verliehen seinem Antlitz Charakter. Seine Augen öffneten sich, ihre Farbe wirkte in der Dunkelheit nahezu schwarz, doch darum nicht weniger außergewöhnlich als bei vollem Licht. Seine Lippen verzogen sich zu einem Willkommenslächeln. Der warme Ton seiner Stimme ein Echo des gefühlsbetonten Ausdrucks in seinem Gesicht.
»Mein Sohn«, sprach der ae’Magi, »du bist nach Hause gekommen.«
11
Falls Wolf diesem Lächeln Glauben schenkte, so sah es ihm Aralorn von ihrem Platz unter den Blättern einer großen Pflanze jedenfalls nicht an. Natürlich war sie nicht an dem Platz geblieben, wo Wolf sie zurückgelassen hatte. Dort war die Aussicht einfach zu schlecht gewesen …
Wolf streckte sich aus und begann mit einer langen rosafarbenen Zunge seine Zehen zu säubern.
Die Miene des ae’Magi gefror angesichts der unausgesprochenen Beleidigung, doch dann entspannte sie sich wieder, wurde zu einem betrübten Ausdruck. »So war es schon immer mit dir. Ich sag, geh, und du läufst, ich sag, bleib stehen, und du gehst. Ich hätte nicht auf eine freudige Versöhnung hoffen sollen, und habe es doch. Es wärmt mir das Herz, dich wiederzusehen.«
Der Wolf, der sein Sohn war, blickte auf und sagte, nicht ganz der Wahrheit entsprechend: »Wir sind hier ohne Zuschauer. Willst du mich für dumm verkaufen? Hätte ich etwa als der verlorene Sohn zu seinem liebenden Vater zurückkehren sollen? Lass mich wissen, wenn du mit deiner rührseligen Ansprache fertig bist, dann können wir uns vielleicht unterhalten.«
Aralorn staunte über die perfekte Reaktion, die der Magier zustande brachte. Ein Hauch von Tragik huschte über sein Gesicht, nur um sogleich wieder unerschütterlicher Freundlichkeit zu weichen. »So lass uns reden, mein Sohn. Erzähl mir, warum du gekommen bist, wenn denn nicht aus Liebe zu deinem Vater.«
Irgendwas stimmte nicht, aber sie kam nicht dahinter, was es war. Etwas, das der ae’Magi gesagt hatte? Etwas, das er gemacht hatte?
»Bitte, nimm Platz.« Mit der linken Hand deutete der Erzmagier auf eine Stelle, die sich in einem angemessenen Abstand zu ihm selbst befand.
Es war ein Machtspiel, das Aralorn sah. Dadurch, dass er Wolf einen Platz anbot,
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