ARALORN - Die Wandlerin: Roman (German Edition)
die Hände bekam. Sie musste lachen bei dem Gedanken, was ihr einen weiteren Hustenanfall eintrug.
Unsanfte Hände packten sie an den Oberarmen, doch als er sie hochhob, ächzte der Mann – sie war wesentlich schwerer, als sie aussah. Das lag an den Muskeln.
Draußen hatte Tageslicht geherrscht, daher machte die Düsternis der fackelerleuchteten Steinmauern sie so gut wie blind; und ihr Haar, das sich aus seinem üblichen Zopf gelöst hatte und ihr ins Gesicht hing, trug auch nicht eben zu besseren Sichtverhältnissen bei.
Mit rücksichtsloser Grobheit wurde sie entkleidet. Um sich nicht in panische Befürchtungen zu versteigen, was das bedeutete, versuchte sie einen verirrten Gedanken einzufangen, der ihr kurz bevor Lord Kisrah sie hierher geschickt hatte durch den Kopf geschossen war. Sie hatte das Gefühl, dass es möglicherweise wichtig gewesen war. Doch ihr vor Schmerz pochender Kopf wollte nicht mitspielen.
»Nun sieh dir das an, Garogue, die ist gar nicht mal so dürr, wie sie aussieht!« Raues Gelächter erschallte und – als eine zweite Wache herankam – Kommentare, auf die sie gut und gern hätte verzichten können.
Denk nach, Aralorn. Ich war erleichtert darüber, dass … dass ich Lord Kisrah vorher noch nie begegnet bin. Ihr Gesicht fühlte sich heiß und gespannt an, trotz der kalten Steine, auf denen sie stand. Lord Kisrah würde mich nicht als Tochter des Löwen erkennen. Es dauerte einen Augenblick, bis die Tragweite dieses Gedankens sie traf. Aber den ae’Magi hab ich als Tochter des Löwen kennengelernt. Er war ganz fasziniert von meiner Augenfarbe – von meinem Gestaltwandlerblut.
Gütige Götter , dachte sie düster. Wenn ihm klar wird, wer ich bin, kann er meinen Vater gegen mich benutzen.
Während die Wachen von ihren weiblichen Reizen in Anspruch genommen waren, versuchte sie abermals, ihre Gestalt zu wandeln. Nicht drastisch diesmal, nur eine kleine Umgestaltung von Augen und Gesicht. Ihre Züge veränderten sich, bis sie genauso gewöhnlich für eine Retherin bäuerlicher Herkunft waren wie die mittelbraunen Augen. Die Augen waren aus irgendeinem Grund immer der schwierigste Teil, und normalerweise machte sie sich nicht allzu viel Mühe damit. Aber sie wollte nicht, dass der ae’Magi auf die Idee kam, sie besäße auch nur das allerkleinste bisschen grüne Magie. Das konnte bei ihrer Flucht von ausschlaggebender Wichtigkeit sein. Abschließend gab sie ihrer Haut einen etwas dunkleren Ton, um ihrer Maskierung das fehlende Quäntchen Glaubwürdigkeit zu verleihen.
»Zu schade, dass wir sie nur angucken dürfen.« Eine schwielige Hand strich ihr über die Hüfte.
»Japp, aber kannst du eigentlich an nichts anderes denken. Erinner dich nur daran, was mit Len passiert ist. Er dachte, der ae’Magi würde es nie erfahren. Abgesehen davon, bisher sind wir bei ihnen noch immer auf unsere Kosten gekommen.«
Großartig. Ich freu mich schon drauf.
Wieder wurde sie vorwärts geschleift. Ihre Erschöpfung machte aus ihr mehr ein totes Gewicht denn je. Ihr Kopf nahm Fühlung mit dem Steingemäuer auf, als sie über eine breite Schulter geschwungen wurde.
»Himmel, was sind diese Nordländer schwer!« Weiteres Gelächter, aber inzwischen hatte Aralorn einen Punkt erreicht, an dem es ihr ziemlich egal war.
Es war spät nachts, als Wolf zum Lager zurückkehrte. Er hatte angenommen, alle würden schlafen. Doch stattdessen fand er Myr auf einem Fels vor den Höhlen sitzend vor; er polierte im Mondschein Aralorns Schwert.
»Wo habt Ihr es gefunden?«, fragte Wolf.
Erschrocken sprang Myr auf, das Schwert abwehrbereit in der Hand. Als er Wolf erkannte, nahm er seinen Platz auf dem Felsen wieder ein.
»Ach, Ihr seid’s, Wolf. Kein Glück gehabt? Verdammt.« Myr hielt die Klinge ins Licht. »Ich hab es heute Abend in einer kleinen Höhle in der Nähe des Eingangs entdeckt. Irgendjemand hat versucht, es zu reinigen, allerdings mehr schlecht als recht. Ich schätze, dass eins der Kinder es gefunden und dort liegengelassen hat, als ihm aufging, was es ist. Ich hab nicht schlafen können, also hab ich mir gedacht, ich könnte es säubern – wäre eine Schande, ein gutes Schwert verrosten zu lassen.«
»Ja«, gab Wolf ihm recht. Er streckte sich hin, legte die Schnauze auf die Pfoten und sah Myr an.
Myr war nicht sein Freund. Aber Aralorn hatte ihn gemocht.
Nach einer Weile fragte der König: »Wo habt Ihr gesucht?«
Wolf erzählte es ihm, was eine geraume Zeit dauerte. Myr hörte zu und
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