ARALORN - Die Wandlerin: Roman (German Edition)
Vorausgesetzt, die Uriah waren nicht in Sichtweite gewesen, als die Leute sich zurückgezogen hatten, würden die Abwehrzeichnungen die Eingänge vor ihren Blicken verbergen.
Wolf wollte sich gerade zu den Kavernen aufmachen, als ihm etwas Weißes in dem trocknenden Matsch auffiel: ein Pferdeskelett. Zu klein für Schimmer.
Es war fein säuberlich abgenagt, nur ein Büschel Mähne ließ noch Rückschlüsse auf das arme Opfer zu. Die Beinknochen waren aufgeknackt worden, um das Mark restlos heraussaugen zu können. Erst als er die unverwechselbaren Muster auf der silbernen Kandare entdeckte, die nicht weit von dem Gerippe lag, begriff er, dass Aralorn auf dem Pferd geritten sein musste.
Fünfzehn oder zwanzig Schritte entfernt lag ein weiterer Haufen Knochen, ebenfalls säuberlich abgenagt. Sie besaßen allesamt die typischen Formen von Uriah-Knochen. Er entdeckte auch einige Schädel – sie hatte drei von ihnen zur Strecke gebracht. Er hatte gehofft, sie unter den Toten zu finden – irgendetwas in ihm brüllte bei dem Gedanken mit höhnischem Gelächter auf. Aber wenn sie tot war …
Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, ihr dorthin zu folgen.
Er ließ seine Schlafrolle in den Überresten des Lagers zurück und nahm wieder seine Wolfsgestalt an, um zu den Höhlen hinaufzurennen, einfach weil es schneller ging. Unterwegs stieß er auf die kläglichen Überreste eines kleinen Kindes – eine schmutzige, zerlumpte Puppe lag neben ihm. Astrid – er erinnerte sich an ihre Puppe. Schlagartig wurde ihm klar, warum Aralorn den Uriah entgegengetreten war.
Nackte Wut brachte sein Blut zum Rauschen. Allein die schwache Hoffnung, dass Myr möglicherweise etwas wusste, das ihm bei seiner Suche helfen würde, hielt sie im Zaum. Wenn er es zuließ, dass sein Groll die Oberhand gewann, war nicht abzusehen, wer alles den nächsten Tag nicht mehr erlebte. Wenn alle tot waren, ermahnte er sich, würde ihm niemand mehr sagen können, ob bereits nach ihr geforscht worden war. Und davon abgesehen würde Aralorn nicht wollen, dass er ihre Freunde hinmetzelte.
Fieberhaft erwog er, während er rannte, alle mögliche Maßnahmen, nur um nicht zu viel an die falschen Dinge zu denken. Er war sich der Kälte, die ihn beschlich und seinen heißen Zorn mit einer dünnen Eisschicht überzog, sehr wohl bewusst.
Die heftigen Auseinandersetzungen waren bereits zu hören, noch bevor er in die Dunkelheit der Höhle eindrang.
»Ruhe!« Myrs Stimme überschlug sich vor Erschöpfung, aber ihre Macht war immer noch groß genug, dass das Gezänk abrupt endete. »Es ist, wie es ist, wir können nichts dran ändern. Aralorn und Astrid sind weg. Ich werde den Teufel tun und noch mehr Leute in den sicheren Tod schicken. Wir werden hier warten, bis ich davon überzeugt bin, dass sie den Uriah zum Opfer gefallen sind. Selbst wenn Aralorn und Astrid noch leben, selbst wenn unser ganzer Trupp hier runter zum Lager marschiert und feststellt, dass die Uriah sie nur gefangen genommen haben, würde das keinen Unterschied machen. Wir können es mit ihnen nicht aufnehmen! Über hundert, hat sie gesagt, und auf mich hat sie nicht den Eindruck einer Frau gemacht, die dazu neigt, zu übertreiben.«
Nur in ihren Geschichten , dachte Wolf. Nicht, wenn es drauf ankam .
Er blieb in den Schatten des Eingangs zu einer der großen Kavernen stehen. Etwas weiter vor ihm stand Myr, den Blick auf die Hauptkammer gerichtet, sodass Wolf eine unverstellte Sicht auf sein Profil hatte. Das Fackellicht offenbarte seine müden Züge. »Es würde keinen Unterschied machen, weil schon zwanzig Uriah ausreichen, uns allesamt zu vernichten, ganz gleich, wie gut wir bewaffnet sein mögen. Sie würden uns töten, und wir könnten uns glücklich schätzen, wenn es uns gelänge, nur zehn von ihnen mitzunehmen. Aralorn wusste das, als sie da rausging, um nach Astrid zu suchen. Sie hatte bessere Chancen als nur irgendeiner von uns, weil sie vorher schon mal mit ihnen zu tun gehabt hat. Hätte ich gewusst, was sie vorhat, hätte ich sie aufgehalten, doch ich wusste es nicht. Aber ich werde jeden von euch aufhalten, der versucht, die Höhlen zu verlassen. Bei Sonnenaufgang gehe ich selbst los und schau nach.«
»Angst vor der Dunkelheit, Prinzchen?« Ein dunkelhäutiger Mann trat aus der Menge hervor. Sein Gesicht war Wolf unvertraut, also konnte er erst nach seinem Aufbruch eingetroffen sein. Seiner Kleidung nach zu schließen war er ein Aristokrat – und insofern weit weniger beeindruckt von
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