Aratani
Propheten, ich werde doch nicht…?
"Das werden wir gleich sehen." sagte Aran sanft. "Warte
einen Moment."
Er holte aus dem Kessel vom Feuer eine Schale mit warmem Wasser und ein
paar Leinenläppchen. Teralf stand erwartungsvoll mit einem Getränk neben
Tilgrem und sah zu, wie Aran vorsichtig Schicht für Schicht die Verbände von
Tilgrems Augen nahm.
"Lass die Augen noch zu, ich muss sie erst von den Salben befreien.
Am besten, Du betest unterdessen ein wenig."
Tilgrem brummte nur. Nachdem Aran sorgfältig das Gesicht seines Freundes
gesäubert hatte, sagte er:
"So, nun versuche vorsichtig die Augen zu öffnen."
Tilgrem blinzelte. Immer noch waren seine Augenlider, die Wangen und der
Hals wund und sahen aus wie rohes Fleisch, aber wie bei Aran auch, sah man
bereits den Fortschritt der Heilung. Es war gut, dass die Nacht bereits
hereingebrochen war, so blendete Tilgrem nur das Feuer. Zusätzlich hatte sich
Aran so vor Tilgrem gesetzt, dass sein eigener Schatten auf dessen Augen fiel.
Tilgrem sah in seine Richtung und sagte kein Wort. Aran konnte nicht an sich
halten und rief aufgeregt:
"Nun sag schon, was siehst Du?"
Eine ganze Zeit verstrich, in der Tilgrem immer wieder blinzelte und die
Augen öffnete und wieder schloss, so dass Aran schon das Schlimmste
befürchtete. Dann jedoch:
"Du hast auch schon besser ausgesehen, Kleiner! Wo ist nun das
Fass?"
Aran konnte einen Freudenschrei nicht unterdrücken, nahm fest Tilgrems
Hand in die seine und drückte sie, übers ganze Gesicht strahlend. Teralf
reichte Tilgrem den Becher mit den Worten:
"Hier mein Freund, vorerst sollte dies ausreichen."
Aran hielt Tilgrem etwas hoch und half ihm beim Trinken. Sein Freund war
sehr schwach, aber die Hauptsache war, dass er wieder sehen konnte. Jetzt
würden sie bald weiter ziehen können. Erschöpft sank Tilgrem auf sein Lager
zurück und fiel in einen tiefen Schlaf.
Als Aran erwachte, war Tilgrems Lager leer. Er sah sich um, konnte ihn
aber nirgends entdecken. Dann sah er ihn. Er stand auf einer kleinen Wiese, die
mehr als ausgedörrt war, neben Feuerhuf, der mit wenig Appetit die spröden
Halme kaute, und klopfte ihm liebevoll den Hals. Aran atmete auf. Jetzt würde
alles gut werden. Sie würden zwar beide einige Narben zurückbehalten, aber sie
hatten überlebt. Ihre Freundschaft war noch inniger geworden und Aran war sich
sicher, dass Tilgrem mit seinem Leben für ihn einstehen würde, genauso wie er selbst
auch für ihn.
Sie blieben letztendlich noch viele Tage und erholten sich von ihren
Verletzungen. Tilgrem konnte wieder vollständig sehen und Arans Wunden waren
inzwischen soweit verheilt, dass er seinen Lederwams
tragen konnte, ohne befürchten zu müssen, dass sich die wunde Stelle unter
seiner Achsel wieder entzünden würde.
Sie hatten sich mit den Nomaden angefreundet und bedauerten fast,
Abschied nehmen zu müssen, als sie sich an einem klaren kalten Morgen
aufmachten, den Pass nach Basabani zu überqueren. Viel zu viel Zeit hatten sie
verloren!
Aran hatte Teralf aus seinem Lederbeutel mehrere Silberlinge in die Hand
gedrückt. Der wollte die Münzen auf keinen Fall annehmen. Aber als Aran darauf
bestand und letztlich darauf drängte, sie wenigstens für die Kinder
aufzuwenden, nahm er sie doch - glücklich strahlend.
Schließlich umarmten sich alle und verabschiedeten sich mit den
Beteuerungen, sich irgendwann einmal wieder über den Weg zu laufen. Aran und
Tilgrem bedankten sich noch einmal für die Pflege und Rettung und schwangen
sich frohen Mutes auf ihre Pferde. Die waren froh, endlich wieder traben zu
können, und schritten kräftig aus.
Bis zum Pass war es nicht mehr weit. Sie sahen bereits den Übergang und
hörten den schmalen Fluss rauschen, der Forontan im Südosten von dem begehrten 'Vierten
Land' im Südwesten trennte.
Es ging bergauf. Die Pferde waren erholt und erstiegen die Anhöhe ohne
auch nur einmal in eine langsamere Gangart zu wechseln. Oben auf dem Pass
angekommen, wehte ein scharfer Wind, aber Aran wusste, dass hinter der
Gebirgskette die nordwestliche Wüste von Arabat lag. Obwohl der Winter längst
angebrochen war, würde von dort her ein wärmerer Wind ins Land wehen. Die
Nächte waren inzwischen kühl und windig und die Temperaturen am Tage
ungemütlich. Die Feuchtigkeit verfing sich in ihrer Kleidung und ihren Decken.
Sie waren sicher noch mindestens vier Tage unterwegs bis sie Basab, die
Hauptstadt von Basabani, und damit ein angenehmeres Klima, erreichen würden.
Der
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