Arbeit - Leben - Glueck
Studium oder einer hingeworfenen Ausbildung ist im Grunde ein Fall für das erste Kapitel dieses Buches »Vor dem Start«. Alles, was für den ersten Anlauf gilt, das gilt auch für den zweiten. Neustarter können allerdings noch besser beurteilen, wie wichtig |69| es ist, eine Entscheidung gut vorzubereiten. Sie sind erfahrener als Anfänger, und zwar nicht trotz, sondern gerade weil sie zunächst einen Fehler gemacht haben.
Das Beste an einem Neustart ist, dass man ihn überhaupt machen kann. Niemand stellt sich vor die Kreuzung und sagt: »Geh weiter geradeaus, alle anderen Wege sind versperrt.« Und für die, die sich sowieso noch nicht so genau festlegen wollen, haben Neustarts vor allem etwas Spielerisches. Neues Spiel, neues Glück – so mag jeder denken, der die Herausforderung liebt, aber noch keine Verpflichtungen hat, noch keine Verantwortung für andere trägt. Und man muss noch nicht einmal ein besonders ausgeprägter Spielertyp sein, um einen Neustart als angenehmen Nervenkitzel zu empfinden.
Doch auch für die weniger Experimentierfreudigen hat ein Neustart viel für sich: Sie lernen, dass nicht immer alles nach Plan geht und sie Alternativen entwickeln müssen. Ein Neustart stellt hohe Ansprüche, und wer nicht ernsthaft nach einem besseren Weg sucht, der findet auch keinen. Die damit verbundene Unsicherheit ist allerdings nicht ihre Sache. Wer Sicherheit und Stabilität mehr schätzt als das Spielerische und Experimentelle, hat meist Angst vor Veränderungen. Ob wir eher Spielertypen sind oder eher Sicherheitsmenschen, ändert an einer Tatsache jedoch nichts: Wenn ein Neustart fällig ist, muss er gemeistert werden. Egal, ob wir kühn voranschreiten oder uns vorsichtig tastend auf das nächste Ziel zubewegen.
Jeder Neustart ist mit einer Übergangsphase verbunden. Das Alte gilt schon nicht mehr, man hat innerlich damit abgeschlossen. Das Neue aber hat noch gar nicht richtig angefangen, oft hat man es nicht mal vor Augen. Jetzt kommt das Spielerische der Situation voll zur Geltung, aber auch die drohende Unsicherheit. Eine mögliche Reaktion auf Unsicherheit ist ein höheres Sicherheitsbedürfnis, eine mögliche Reaktion auf die Wonnen des Spiels ist der Übermut. In den folgenden Beispielen geht es um dieses Spannungsfeld.
|70| Paola gibt nach drei Semestern ihr Publizistikstudium auf. Mit den Inhalten, die an ihrer Fakultät verbreitet werden, kann sie nichts anfangen, für sie sieht die Wahrheit ganz anders aus. Sie findet einen Aushilfsjob in einem Verlag, und nach einem Jahr hat sie die Möglichkeit, den Job in eine feste Stelle umzuwandeln. Das wäre zwar ganz nett, ist aber nicht gerade das, was sie sich vorgestellt hat. Sie lehnt das Angebot ab, kündigt ihre Wohnung, stellt ihre Möbel bei Freunden unter, kauft sich einen Campingbus und fährt mit ihrem Freund ein halbes Jahr kreuz und quer durch Europa. Danach will sie ein neues Studium anfangen. Was, das weiß sie noch nicht, aber diesmal, so denkt sie, wird es schon das richtige sein.
Fred ist Industriekaufmann. Er hat zwar Abitur, wollte aber nach der Schule gleich ins Berufsleben einsteigen. Die Firma, für die er arbeitet, verkauft Werkzeugmaschinen. Fred besucht Kunden, schließt neue Verträge ab oder führt Verkaufsgespräche. Die Arbeit langweilt ihn. Auch hasst er es, ständig im Auto oder in muffigen Konferenzräumen zu sitzen. Sein Chef ist überzeugt, dass jeder andere Mensch besser verkaufen kann als Fred, aber vor die Tür setzen will er ihn auch nicht. Fred überlegt sich oft, wie es wäre, den Job an den Nagel zu hängen und doch noch ein Studium anzufangen. Forstwirtschaft würde ihm gefallen, denn Förster ist sein Traumberuf. Aber er müsste seine schöne Wohnung aufgeben und in einer Studentenbude hausen, hätte nie Geld und könnte trotz aller Entbehrungen nicht sicher sein, ob er überhaupt eine Stelle als Förster bekommt. Also bleibt er bei seiner Firma, auch wenn es ihm schwer fällt.
Alberta arbeitet seit zwei Jahren in einem Blumenladen. Sie macht das nur übergangsweise, weil sie Geld braucht |71| und Blumen gern hat, aber auf die Dauer will sie etwas anderes: Sie möchte Architektin werden. Sie hat schon vier Semester studiert, musste dann aber aufgeben. Die Art von Architektur, die ihr gefällt, war an ihrer Hochschule so verpönt wie Bratenduft in einem vegetarischen Restaurant. Sie war mit ihrem Geschmack, mit ihren Ideen nirgends anschlussfähig und hatte es leider versäumt, sich vor
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