Arbeit - Leben - Glueck
steht der unkreative, lohnabhängige Bretterzersäger, der jeden Tag dasselbe tut, auf der anderen Seite der ganzheitlich arbeitende, freie Handwerker, wie es ihn seit dem Mittelalter gibt. Doch nicht jeder, der ein Sinnerlebnis bei der Arbeit sucht und Spaß daran haben will, muss sich unbedingt selbstständig machen oder besonders kreativ sein. Warum?
|80| Von vielen Arbeitnehmern wird ein hohes Maß an Eigenverantwortung gefordert. Der Mitarbeiter einer Werbeagentur, der Abteilungsleiter einer Nudelfabrik, der Entwicklungsingenieur eines Autokonzerns: Sie alle sind Angestellte, arbeiten also theoretisch fremdbestimmt. Trotzdem arbeiten sie weitgehend selbstständig, treffen eigene Entscheidungen, tragen Verantwortung.
Nicht allen fällt etwas ein, wenn sie ganz auf sich gestellt sind und eigene Ziele formulieren sollen. Für sie ist es besser, wenn das, was sie tun sollen, vorgegeben ist und sie es dann nur noch auf ihre Art und Weise ausführen.
Der Glücksforscher Michael Csikszentmihalyi erzählt in seinem Buch
Flow. Das Geheimnis des Glücks
von einem Arbeiter namens Joe, der 30 Jahre in der gleichen Firma tätig ist. Alle Versuche, ihn zum Vorarbeiter zu machen, lehnt er mit dem Hinweis ab, dass er gern einfacher Arbeiter wäre und niemand unter sich haben wolle. Joe kennt alle Arbeitsabläufe, kann jede Maschine in der Firma bedienen und reparieren. Das hat er sich im Lauf der Jahre selbst beigebracht. Er liebt »seine« Maschinen und sieht es als Lebensaufgabe an, für sie zu sorgen. Joe hat sich immer mehr Handlungsspielräume geschaffen, wird von allen in der Firma geachtet und herbeigerufen, wenn es irgendwo Probleme gibt. Bei der Anschaffung neuer Maschinen wird er von der Geschäftsleitung um Rat gebeten. Joe ist ein Arbeiter, der sein ganzes Leben in einer lauten, schmutzigen Fabrik schuftet und dem seine Arbeit so viel Spaß macht, dass er sie sogar freiwillig tut: Er könnte sich verbessern, aber er verzichtet, nur damit er wie gewohnt weitermachen kann.
Doch eigentlich dürfte es jemanden wie Joe überhaupt nicht geben. Für die meisten Denker, die sich mit dem Thema Arbeit beschäftigt haben, ist der Grundwiderspruch zwischen arbeiten müssen und arbeiten wollen unüberwindlich. Sie behaupten, dass Arbeit, die nur dem Lebensunterhalt dient, |81| mit Arbeit, die um ihrer selbst willen geschieht, nichts zu tun hat. Zur Trennung der beiden Sphären verwendet etwa die Philosophin Hannah Arendt die Begriffe »Arbeit« und »Werk«: Arbeit (im Sinn von schuften, malochen, sich abrackern) dient allein den menschlichen Grundbedürfnissen und dem Versorgtsein im Hier und Jetzt. Ganz anders das Werk: Es unterscheidet sich von der täglichen Arbeitsroutine, ist einzigartig und der Tendenz nach unvergänglich: Menschen schaffen Werke, weil sie sich darin »verewigen« wollen.
In der modernen Arbeitswelt sind Werke, so wie Hannah Arendt sie definiert, eher selten, weil die meisten Gegenstände maschinell hergestellte Massenprodukte sind. Wenn aber nur Werke der Arbeit jenen Sinn geben, nach dem wir suchen, dann dürften ja wirklich nur, wie eingangs vermutet, Kunsthandwerker und Künstler beim Arbeiten glücklich sein. Warum ist dann aber der Arbeiter Joe bei der Arbeit glücklich? Weil es für dieses spezielle Glücksgefühl völlig egal ist, ob man ein flippiges Kunstwerk schafft oder etwas vollkommen Unkreatives tut. Hauptsache, man sieht einen Sinn darin. Ob Joe seine Maschinen repariert oder Michelangelo eine Skulptur formt: Beiden war es wichtig, das zu tun. Etwas hat »Gestalt angenommen«. Die Skulptur steht irgendwann da und ist fertig, die Maschine funktioniert wieder.
Glücksgefühle bei der Arbeit hängen also nicht nur davon ab, ob man kreativ und selbstbestimmt tätig ist, sondern auch davon, ob man am Ende eines Tages, einer Woche, eines Jahres sieht, was man gemacht hat, und darin einen Sinn sehen kann. Dass etwas Gestalt annimmt, dass man mit seiner Arbeit etwas verändert und erreicht, ist der größte gemeinsame Nenner aller möglichen Tätigkeiten, die Menschen als befriedigend und sinnvoll empfinden. Dieser gemeinsame Nenner gilt für bleibende Werke genauso wie für tägliche Routinearbeiten. Das zeigt sich auch in folgender Geschichte aus dem Jahr 2002: Eine englische Putzfrau, die in der Lotterie eine Million Pfund gewonnen hatte, gab an, wie gewohnt |82| weiterarbeiten zu wollen, da sie gern putze und das Leben ihr so, wie es ist, gut gefalle.
Man könnte sagen: Obwohl Putzen
Weitere Kostenlose Bücher