Arbeit - Leben - Glueck
ebenso die Schriftstellerei sind brotlos, wenn sie nicht genug Geld für den Lebensunterhalt einbringen. Auch viele Tätigkeiten im Umfeld der Künste gelten als brotlos: Pianisten, Übersetzer, Lektoren, Kritiker und Journalisten, die freiberuflich arbeiten, können ein Lied davon singen.
Die wirtschaftlichen und beruflichen Perspektiven für Künstler und angrenzende Berufe sind praktisch unberechenbar. Es kommt auf vieles an: Wie sie das Geschäftliche angehen, warum sie künstlerisch tätig sind und was sie mit ihrer |85| Kunst bewirken wollen. So gibt es zum Beispiel Künstler, die gar nicht wollen, dass ihre Werke jemandem gefallen. Sie sollen den Betrachter provozieren oder sich über ihn lustig machen. Wenn sie es dennoch oder auch gerade deswegen schaffen, berühmt zu werden, können sie einen alten Staubsauger in eine Ecke des Museums stellen und behaupten, das sei Kunst. Vor allem in Deutschland gilt: Je mehr ein zeitgenössisches Kunstwerk seinen Betrachter zurückweist und vor den Kopf stößt, desto eher wird es als Kunst akzeptiert. Und nirgendwo auf der Welt ist der Versuch, »gefällige« Kunst zu machen und sich dem Publikum »anzubiedern«, so unter Generalverdacht gestellt wie bei uns. Künstler, die dies dennoch tun, gelten deshalb oft »nur« als Kunsthandwerker. In vielen anderen Ländern wird dieser Unterschied nicht gemacht.
Egal ob Künstler, Kunsthandwerker, Schriftsteller oder Pianist: Der Anfang ihrer Karriere sieht für alle Kunstschaffenden gleich aus. Sie können (noch) nicht von ihrer Arbeit leben und müssen sich erst einen Namen machen. Bis es so weit ist, verdienen sie ihren Lebensunterhalt anderweitig. Erst nach einer Weile wird sichtbar, ob sie mit ihrer Kunst auch wirtschaftlich überleben können und warum sie künstlerisch arbeiten. Es gibt vier Entwicklungsmuster:
Sie schaffen den Durchbruch nicht, werfen alles hin und machen etwas anderes.
Sie machen trotz Misserfolg weiter. Künstlerische Arbeit wird zum Privatvergnügen, oft unter großen Opfern und Entbehrungen.
Nach jahrelanger Kleinarbeit stellt sich der Erfolg ein. Sie sind bekannt und können von ihrer Arbeit ganz gut leben.
Sie werden über Nacht reich und berühmt. Solche Erfolgsgeschichten sind für viele ein Ansporn. Wenn eine Sozialhilfeempfängerin und allein erziehende Mutter mit ihren Harry-Potter-Romanen zur reichsten Frau Europas werden kann, dann kann es theoretisch jeder.
|86| Auch wenn also die brotlosen Künste nicht immer so brotlos sind, wie es das Bild vom armen Poeten zeigt, ist der Weg zum künstlerischen Erfolg vor allem eine Art Glücksspiel. Viele spielen mit, viele ziehen Nieten oder kleine Preise, nur wenige ziehen den Hauptgewinn. Und trotzdem antworten viele Leute auf die Frage, was sie am liebsten machen würden: »Irgendwas Kreatives«. Sie trauen sich mehr zu als früher, und der Zugang zu kreativen oder künstlerischen Berufen hat sich durch die Spielräume, die es heute gibt, sozusagen demokratisiert. Nie gab es so viele Freizeitkurse, die interessierten Laien ein Forum bieten. Ob Bildhauerei, Malerei oder kreatives Schreiben: Hier strömen alle möglichen Leute zusammen, die sich für fähig halten, künstlerisch tätig zu sein.
Besonders deutlich zeigt sich diese Entwicklung auf dem Buchmarkt. War ein Schriftsteller früher in erster Linie Schriftsteller, der allenfalls zusätzlich einem (ungeliebten) Brotberuf nachging, weil er von seinen Werken allein nicht leben konnte, so ist es heute oft umgekehrt. Immer mehr Autoren sind eigentlich Anwälte, Gerichtsmediziner, Genforscher, Ärzte, Toxikologen, Archäologen oder Tiefseetaucher, also ganz normale Berufstätige, die irgendwann umsatteln. Sie haben jahrelang auf ihren jeweiligen Fachgebieten gearbeitet, Erfahrungen und Spezialkenntnisse aller Art gesammelt. Dann kommen sie eines Tages auf die Idee, ihr Wissen anders als bisher zu vermarkten, und beginnen zu schreiben: Kinderbücher, Sciencefiction, Krimis und Romane, aber auch Dokumentationen und Sachbücher für interessierte Laien. Kommen die Bücher beim Publikum an, dann produzieren solche Autoren oft einen Bestseller nach dem anderen. »Das ist doch keine richtige Literatur«, mag der Experte da stöhnen, genauso wie Kunsthandwerk in seinen Augen keine richtige Kunst ist. Aber für den Spaß an der Arbeit und die Freude am fertigen Werk spielt diese Unterscheidung nicht die geringste Rolle.
|87| Wer sich zu einer brotlosen Kunst berufen fühlt, wird es trotz aller
Weitere Kostenlose Bücher