Arbeit - Leben - Glueck
lässt sich unter diesen Bedingungen über das Kantinenessen, den Betriebsausflug, den Chef oder die Kollegen überhaupt sagen?
Wenn wir den Versuch machen, die Welt besser zu verstehen, dann bilden wir gern Begriffe. Sie helfen uns dabei, über eine Sache nachzudenken, ohne dass der Einzelfall eine Rolle spielt. Zentrale Begriffe aus der Arbeitswelt sind Konkurrenz, Konflikt, Vertrauen, Führung, Kommunikation, Zusammenarbeit, Routine und Veränderung. Aber auch diese Begriffe sind noch reichlich schillernd. Das merkt man schon, wenn man anfängt, über sie nachzudenken. Für den einen etwa ist Führung nur ein Relikt aus alten Tagen, für den anderen ist sie der einzige Weg, die Arbeitswelt zu regeln. Für den einen ist Konkurrenz eine Bedrohung, die letztlich den Weltfrieden verhindert, für den anderen ist sie ein Motor, der die Menschen zur Hochform auflaufen lässt. Auch über Routine, Veränderung, Kommunikation, Konflikt und Vertrauen kann man so oder so sprechen. Unter diesen Umständen ist es manchmal etwas schwierig, den Überblick zu behalten, aber das ist der Preis der Freiheit: Man muss sich immer wieder neu zurechtfinden.
|157| Routine und Veränderung
Morgens aufstehen, zur Schule oder zur Arbeit gehen, essen, fernsehen, schlafen: Das Leben besteht zu einem großen Teil aus Wiederholungen. Wenn sich etwas wiederholt, ohne dass wir uns überhaupt noch darüber Gedanken machen, nennen wir das Routine. Die hat allerdings nicht den besten Ruf: Routine steht im Verdacht, langweilig zu sein. Schlimmer noch: Es gibt Menschen, die in ihrer Routine so abstumpfen, dass sie jede Menschlichkeit verlieren. Wenn irgendwo auf der Welt eine unfassbare Gräueltat passiert, wird oft gerade das Methodische, das Routinierte ihrer Ausführung angeprangert, weil sie das Schlimme irgendwie noch schlimmer macht. Wir sehen einen Unterschied zwischen einem Profikiller und einem Mörder, der im Affekt tötet. Der routinemäßige Mord wird härter bestraft als ein Verbrechen aus Leidenschaft, obwohl das aus der Sicht des Opfers keine Rolle spielt.
Auch im Alltag stehen wir dem Begriff der Routine oft skeptisch gegenüber. Wir tun etwas und merken es gar nicht mehr, dabei sollen wir doch die Besonderheit, das Einzigartige des Augenblicks würdigen. Auch in der Liebe gilt die Routine als der Anfang vom Ende. Jede Begegnung, jeder Liebesakt soll neu und immer wieder anders sein, sonst ist es nur noch Routine. Wäre es dann also das Beste, jeder Routine so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen, ob im Alltag, in der Liebe oder in der Arbeitswelt?
»Es ist gerade das, was man vermisst«, sagt Jean Gabin in dem Film
Lautlos wie die Nacht,
als er nach fünf Jahren Gefängnis nach Hause kommt und ihm seine Frau die erste Tasse Kaffee hinstellt. Schwarz mit vier Stücken Zucker, am besten noch vor dem Frühstück auf nüchternen Magen. Es gibt Wiederholungen, auf die man nur ungern verzichtet. Dann nennt man sie »lieb gewordene Gewohnheiten«, aber Routine sind sie natürlich trotzdem.
|158| In der Arbeitswelt ist Routine unerlässlich. Alle sind froh, wenn ein Team gut aufeinander eingespielt ist, wenn jeder Handgriff sitzt, wenn man sich ohne viele Worte verständigt und die Arbeit sich wie von selbst erledigt. Wenn man jeden Tag aufs Neue abklären müsste, warum dieses oder jenes so und nicht anders getan werden sollte, würde man verrückt. Und mit der Arbeit niemals fertig.
Wenn mehrere Menschen im Lauf einer langen Zusammenarbeit immer mehr Routine entwickeln, dann tun sie das nicht, weil sie alte Langeweiler sind, sondern weil sie nach Vollkommenheit streben. Es gibt Arbeitswelten, in denen der Sinn von Routine besonders offensichtlich ist: ein Orchester, ein Chor, eine Rudermannschaft, ein Fußballteam, eine Seilschaft, ein Trupp Soldaten. Sie brauchen nicht nur Können, Übung und Disziplin, um ihre Aufgaben zu meistern, sondern auch Routine, sonst müssten sie immer wieder von vorn anfangen. Wie sehr wir Routine im Grunde genommen anstreben, merken wir vor allem dann, wenn wir uns auf etwas Neues einstellen müssen. Das zeigt ein einfacher Selbstversuch:
In die Küche gehen und das Besteck in die Schublade legen, in der normalerweise die Geschirrtücher sind.
Die Geschirrtücher herausnehmen und in die freie Besteckschublade packen.
Darauf achten, wie lange Hand und Hirn brauchen, bis sie sich auf die richtige Schublade eingestellt haben.
Obwohl wir nur eine Schublade vertauscht haben: Die Routine ist
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