Arbeit: Warum unser Glück von ihr abhängt und wie sie uns krank macht (German Edition)
nach dem Zweiten Weltkrieg erst die soziale Marktwirtschaft vorsah. Zu den arbeitspolitischen Errungenschaften im bundesrepublikanischen Westen zählten die Tariffreiheit und freie Gewerkschaften (wodurch eine massive Verbesserung der allgemeinen Lohnsituation ermöglicht wurde), Verbesserungen des Arbeitsschutzes, die Einführung von 8-Stunden-Tag und 5-Tage-Woche sowie ein wirkungsvoller Schutz bei Krankheit und Arbeitslosigkeit. Mindestens ebenso bedeutsam wie diese Fortschritte war die politische Durchsetzung von Mitbestimmungsrechten der Arbeitnehmerschaft in den Betrieben.
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Tätiges Leben und die Muße:
Theorien über die Arbeit und ihre Wirkungen
auf das reale Leben
Die menschliche Arbeit lässt sich von unterschiedlichen Positionen her betrachten. Man kann ihre Methoden und ihre Produkte untersuchen. Man kann die Anforderungen, welche die Arbeit an den heutigen Menschen stellt, und ihre gesundheitlichen Auswirkungen analysieren (dieser Ansatz bildet den Schwerpunkt dieses Buches). Die menschliche Arbeit ist jedoch mehr als das, was wir produzieren oder was wir körperlich und psychisch erleben, während wir sie tun. Obwohl sie erst dadurch zutage tritt, dass wir als Menschen tätig werden, ist die Arbeit zugleich eine Art Naturphänomen, das wir wie einen Teil der äußeren Welt betrachten, über das wir uns Gedanken machen und Theorien entwerfen können. Vorstellungen, die wir uns über die Arbeit machen, wirken auf unsere Realität – auch auf unsere Arbeit – zurück und lenken unser Tun. Daher soll sich dieses Kapitel mit der Frage beschäftigen, was die Vorstellungen waren (und sind), von denen sich Menschen leiten ließen (und lassen). Was sind die unbewussten oder bewussten Theorien, die sich Menschen zum Sinn oder Unsinn der Arbeit gemacht haben (und machen)?
Die Theorien, die sich ein Mensch macht, um seine Arbeit zu rechtfertigen, unterliegen nicht notwendigerweise einem vordergründigen Nützlichkeitsdenken. Wer seine Arbeit gegen die eigene Neigung oder gar unter Zwang verrichten muss, dessen »innere Theorie« könnte beispielsweise den Plan eines Bedürfnisaufschubs beinhalten (»ich bemühe mich jetzt und werde später belohnt« oder »ich unterwerfe mich jetzt dem göttlichen Gebot, dereinst wird mich der Himmel belohnen«), die Unterwerfung unter die Arbeit könnte auch mit dem Plan einer späteren Revanche verbunden sein (»ich muss mich jetzt fügen, werde mich aber später dafür rächen«).
Aber auch da, wo die Arbeit freiwillig geleistet wird, sind die Theorien zur Arbeit, die einen Menschen leiten, nicht immer rational, jedenfalls nicht im zweckrationalen Sinne eines kaufmännischen Kalküls. Menschliche Arbeit kann – bewusst oder unbewusst – von allerhand fantastischen Vorstellungen geleitet sein, seien sie ästhetischer, karitativer oder schlicht geltungssüchtig-größenwahnsinniger Natur.
Selbstverständlich sind Theorien zur Arbeit keine auf beliebigen Einfällen beruhenden Zufallsprodukte, sondern haben – wie schon Karl Marx erkannte – die jeweils gegebenen materiellen und sozialen Verhältnisse zur Grundlage. Wenn sich bestimmte Vorstellungen aber erst einmal gebildet haben, dann sind sie, wie die Geschichte zeigt, keine flüchtigen Er scheinungen, sondern erfreuen sich einer langen Lebensdauer über Generationen hinweg. Die sozialen Milieus, in denen Menschen aufwachsen, geben die in ihnen gepflegten, auf die Arbeit bezogenen Vorstellungen an die Nachwachsenden wei ter. Diese Weitergabe findet überwiegend implizit statt und setzt sich gegen Versuche, eine bestimmte, in einem Milieu gepflegte Theorie durch bewusste Reflexion abzulegen, häufig gnadenlos durch. Vorstellungen, die Menschen, meist sogar ganze Kulturen mit der Arbeit verbinden, wirken also in hohem Maße auf die Realität zurück und haben eine historisch überdauernde Kraft. Aus diesen Gründen sollte eine Analyse der Vorstellungen, die Menschen mit der Arbeit verbunden haben und verbinden, unser Interesse finden.
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Personale, betriebliche und politische Perspektiven und die Bedeutung der Erziehung
Die Suche nach der Freude und dem Sinn, den die Arbeit dem Menschen vermitteln kann, beginnt mit der einem Menschen zugebilligten Würde. Wie soll jemand, dem vermittelt wurde, wertlos zu sein und für andere keine Bedeutung zu haben, zu der Einschätzung kommen, dass das, was er oder sie beruflich tut, etwas Gutes, Bedeutsames und Sinnvolles sei? Eine wichtige persönliche Voraussetzung für die
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