Arbeitsfrei: Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen (German Edition)
gearbeitet, während zu den Haupterntezeiten im Hochsommer und Frühherbst Werksferien sind und die Produktion stillsteht. Für die Arbeiter ist das durchaus attraktiv, in welcher anderen Branche kann man schon zur besten Jahreszeit viele Wochen am Stück Urlaub nehmen – und zwar weit mehr als die sonst üblichen achtundzwanzig Urlaubstage?
Für ihre Kollegen im Service stellt sich die Situation genau andersherum dar. Während der Erntezeit kostet ein Maschinenstillstand unmittelbar bares Geld. Wenn das Korn nicht rechtzeitig und genau zur richtigen Zeit eingebracht wird, leidet die Qualität. Im schlimmsten Fall ist die Ernte dann ein Totalverlust – etwa wenn das Getreide schimmelt –, oder es drohen signifikante Einkommenseinbußen, wenn es nur noch als Futtergetreide verkauft werden kann. Die Rechnung ist so einfach wie brutal: Unter optimalen Bedingungen holt das Spitzenmodell von Claas bis zu achtzig Tonnen Weizen pro Stunde vom Acker – im Wert von über zwanzigtausend Euro, wenn die Qualität stimmt. Steht der Mähdrescher wegen eines Defekts still, summieren sich die Verluste schnell in erhebliche Dimensionen. Dementsprechend rotiert der Reparatur- und Ersatzteilservice zur Erntezeit auf Hochtouren. Ein entscheidendes Argument für oder gegen einen bestimmten Hersteller ist für die Käufer die Distanz zur nächsten Servicewerkstatt. Die Techniker fahren zu jeder beliebigen Zeit zum Kunden, oft auch direkt auf den Acker. Nicht vor Ort vorrätige Ersatzteile werden wenn nötig direkt per Fernkurier zum Kunden gefahren.
Die Sommerpause im Werk wird genutzt, um die Produktion für das nächste Jahr umzubauen und die Maschinen zu warten. Neue Roboter, Automatisierungssysteme und Produktionsmaschinen werden in dieser Zeit installiert und die Arbeitsabläufe für die Produktion neuer Modelle und Varianten umgestellt. Die Werkshalle ist so groß, daß auch unser Werksführer an der einen oder anderen Stelle überrascht war, daß eine neue Produktionsanlage schon installiert und in Betrieb genommen war.
Viele Arbeitsplätze in der Landmaschinenproduktion sind vor allem deswegen noch nicht automatisiert, weil die Stückzahlen im Vergleich zur Autoindustrie klein, die Zahl der Varianten groß und die Montageprozesse recht komplex sind. Neue Generationen von flexiblen, billigen Robotern, Systeme für die automatische Materiallogistik im Werk und automatisierungsgerechte Konstruktion der Produkte dürften hier aber auch für ein Absinken des Anteils menschlicher Arbeit sorgen.
Doch wenn das Korn mit Hilfe der beeindruckenden Maschinen dann endlich geerntet ist, gelangt es – meist über den Zwischenschritt Getreidehändler – zu den Mühlen, um zu Mehl vermahlen zu werden. Dorthin führt auch die nächste Station der Reise.
Frank Rieger
4. Mühlen – Vom Reibstein zur vollautomatischen Mahlfabrik
Unsere Vorstellung von einer Mühle wird immer noch stark von den Darstellungen aus Märchen und Geschichten bestimmt: Auf einem Hügel drehen sich die Flügel einer Windmühle in der frischen Herbstbrise. Im dunklen Tal klappert eine Wassermühle, getrieben von der Kraft des rauschenden Bachs oder vom Ablauf eines mit Seerosen bewachsenen Mühlteichs. Drinnen übertragen dicke Achsen aus Holz oder Eisen und breite Lederriemen die Rotation auf runde Mühlsteine, die mit rumpelnd-schabendem Geräusch gleichmäßig drehend das Korn zerquetschen.
Es ist nicht verwunderlich, daß wir immer noch diese Entwicklungsstufe der Technik vor Augen haben, auch wenn sie längst überholt und abseits von Heimatmuseen verschwunden ist. Denn die Mühlen waren einst so weitverbreitet und so bestimmend für das tägliche Leben, daß sie Eingang fanden in Lieder und Geschichten. Bis heute finden sich auf fast allen Mehlpackungen und in den Firmenlogos vieler moderner Mühlenbetriebe stilisierte Windmühlen. Die charakteristische vierflügelige Silhouette wird wohl dauerhaft das Symbol für die Mühle an sich bleiben, ähnlich wie das alte Wählscheiben-Tischtelefon mit seinem Hörer als stilisierte Abbildung und durch seinen »klassischen« schrillenden Klingelton im Mobilfunkzeitalter zur Ikone für das Telefonieren an sich geworden ist – auch wenn sie längst aus dem Alltag verschwunden sind.
Eine moderne Getreidemühle ist heute ein Zweckbau: ein hoher, großer Gebäudekomplex, dessen Lage nicht mehr wie in früheren Zeiten von der genutzten Energiequelle – Wind- oder Wasserströmung – abhängt. Das wichtigste Kriterium
Weitere Kostenlose Bücher