Arbeitsfrei: Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen (German Edition)
»Beratungsprodukte« zu verkaufen, also Fonds, Anleihen, Wertpapiere und was die Bank gerade sonst noch so unters Volk bringen will. Sie dürften meist nicht einmal das beste Angebot sein – denn das würde der Kunde wahrscheinlich am besten online finden, wenn er danach sucht. Der Bankmitarbeiter sitzt dort im Grunde genommen nur noch, weil ein Teil der Kunden bei Geldgeschäften mangels ausreichender Kenntnis und Durchblicks bei den komplexen Angeboten immer noch irrigerweise auf ein menschliches Vertrauensverhältnis setzt.
Die implizite Annahme ist, daß dieser Banker auch noch in ein paar Jahren da sein und einem hoffentlich keine Schrottprodukte andrehen wird, weil er sich dafür dann ja ganz menschlich im Gespräch rechtfertigen müßte. Die Hypothekenkrise hat hoffentlich auch die letzten treuen Investmentkunden von diesem Irrtum geheilt – der Banker verkauft in der Regel schlicht, was die Software gerade vorschlägt und wofür er am meisten Provision bekommt. Er ist im Zweifel schon längst in einer anderen Filiale oder Abteilung, wenn die dubiosen Investmentprodukte sich als faule Eier herausstellen. Die kontinuierlich schlechten durchschnittlichen Ergebnisse bei der Beratungsqualität in unabhängigen Tests sprechen hier eine beredte Sprache.
Die Wegautomatisierung seiner ehemaligen Kollegen geschah in der Bank zum einen dadurch, daß Roboter – nichts anderes ist ein Geldautomat – ihre Aufgabe übernahmen. Entscheidungen über Kredite und ähnliches werden auch nicht mehr von Menschen direkt gefällt, sie folgen in der Regel dem Vorschlag aus einem Algorithmus, der Hunderte Faktoren und Datenpunkte über den Kunden und seine Finanzhistorie heranzieht. Das Bauchgefühl und die Erfahrung des Bankers wurden weitgehend durch Software ersetzt. Zum anderen haben wir uns daran gewöhnt, Bankgeschäfte online abzuwickeln – das ganze Geschäftsprinzip hat sich somit grundlegend gewandelt.
Genauso funktioniert die Automatisierung des Geistes an vielen Stellen. Erfahrung, Wissen und Intuition werden durch Software nachgebildet, Statistiken, Optimierungs- und Wahrscheinlichkeitsrechnungen ersetzen die oft eher unscharf begründeten, einfach zu beeinflussenden Entscheidungen des Menschen. Begründet wird die Einführung softwaregestützter Entscheidungen vor allem mit Effizienzgewinnen, Optimierungspotentialen, Fehlerreduktion und einer höheren Konsistenz und Nachvollziehbarkeit der Entscheidungen. Der zuweilen irrationale und unzuverlässige Mensch soll durch die vermeintlich perfekte Maschine ersetzt werden.
Nicht nur Kredit- und Investitionsentscheidungen werden von immer ausgefeilteren Algorithmen vorbereitet – oder in den automatischen Handelssystemen der Börsenzocker ganz direkt getroffen. An vielen Stellen ist die Software bereits ganz direkt der Entscheidungsträger, etwa in Handel und Logistik, wo Transportrouten, Lagerbestandsmanagement und günstige Zeitpunkte für den Ankauf von Waren, die Preisbildung und Sonderangebote auf der Basis von Datenmengen errechnet werden, die das Fassungsvermögen eines menschlichen Gehirns bei weitem übersteigen. Meist schaut noch mal ein Mensch über die Zahlen, bevor er den Vorschlag des Computers bestätigt, um immer wieder mal auftauchende Anomalien und offensichtliche Vorhersagefehler der Algorithmen zu erkennen und auszubügeln. Das nimmt jedoch nur einen eher kleinen Teil der Zeit in Anspruch.
In Großkonzernen, die typischerweise Beschaffung und Einkauf, Inventarisierung, Budgetplanung, Personalverwaltung, Produktionsplanung, Kundenbeziehungsmanagement und Orderverwaltung in riesige Softwarepakete ausgelagert haben, wie sie der Waldorfer Konzern SAP herstellt, geht ohne die Datenbanken und Softwaresysteme gar nichts mehr. Abteilungen, die früher Tausende Menschen beschäftigten, wurden zum Teil halbiert oder noch weiter reduziert.
Dabei wird nicht einfach eine Software installiert. Damit die Optimierungspotentiale möglichst weit ausgeschöpft werden können, ist man dazu übergegangen, bei dieser Gelegenheit auch die vollständigen Geschäftsprozesse umzubauen, die künftig von Software gesteuert und betrieben werden. Diese Prozesse in Unternehmen müssen schließlich nicht mehr primär an den Bedürfnissen und Fähigkeiten der Menschen orientiert sein, sondern an den Notwendigkeiten einer möglichst weitgehenden Digitalisierung und algorithmischen Verarbeitbarkeit sowie an den Restriktionen der dominierenden Software.
Normalerweise nutzen die
Weitere Kostenlose Bücher