Arbeitsfrei: Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen (German Edition)
verarbeiten. Unser Alltag, was wir als Bedürfnisse empfinden, wie wir kommunizieren und leben, aber auch viele soziale Interaktionen werden noch stärker als heute von Systemen bestimmt werden, die eine gewisse softwaregestützte Autonomie haben.
Selbst in Bereichen, die heute noch sakrosankt erscheinen mögen, wie bereits angedeutet etwa in der Kranken- und Altenpflege, ist der Marsch der Automaten und Roboter nicht mehr aufzuhalten. Es fängt an mit der digitalen Erfassung aller Patientendaten, die die Grundlage für die algorithmische Optimierung bilden. Derzeit verbringt das medizinische Personal einen nicht unerheblichen Teil seiner Arbeitszeit damit, die Computer mit Daten zu füttern, primär für Zwecke der Abrechnung und der Dokumentation, für den Fall, daß jemand später bei einem Kunstfehler die Behandlungsgeschichte nachvollziehen möchte.
Diese Arbeit, die eigentlich nichts mit der Heilung und Pflege von Menschen zu tun hat, zu automatisieren und quasi nebenbei und von selbst geschehen zu lassen ist selbstverständlich nicht trivial, jedoch sehr lohnend. Körpertemperatur und Laborwerte, Medikamentengaben und Behandlungen direkt zu erfassen, wenn die Daten anfallen, ist aber nur der erste Schritt. Mit diesen Daten lassen sich umfangreiche Analysen durchführen, aus denen sich erhebliches medizinisches Wissen und in der Folge medizinischer Fortschritt generieren ließe.
Antworten, die heute in der Regel durch medizinische Studien gefunden werden, gewinnt man dann aus nebenbei im Rahmen der Behandlung anfallenden und analysierten Daten: Welche Medikamente wirken bei welchen Patienten? Was sind die Zusammenhänge zwischen genetischer Ausstattung und Nebenwirkungshäufigkeit? Welche Behandlungskonzepte sind unter welchen Umständen anderen über- oder unterlegen?
Das Problem dabei – und hierin liegt eine der entscheidenden Fragestellungen der gesamten Automatisierungsthematik – ist, welchen Optimierungszielen die Algorithmen und Auswertungen folgen sollen. Geht es ausschließlich oder jedenfalls vorrangig um die Einsparung von Kosten und Personal, sollen nur Zahlen und Statistiken für Begründungen generiert werden, um weniger lukrativen Kassenpatienten bestimmte Behandlungen zu verweigern?
Die ethischen Fragen des digitalisierten Gesundheitssystems sind komplex und nicht einfach zu beantworten. Dementsprechend schwierig ist die Definition von Optimierungszielen, die am Ende nicht nur verkappte Methoden der Profitsteigerung für einige Teilnehmer des Spiels im großen Gesundheitskomplex sind.
Und es geht hier um Daten, welche zu den sensibelsten gehören, die man über Menschen ermitteln kann. Informationen über körperliche und seelische Leiden und Schwächen sind äußerst privater Natur. Wenn man sie teilt, zum Beispiel für Forschungszwecke, gelten strengste Datenschutzregeln und Anonymisierungsvorschriften.
Viele Experten aus der Medizinbranche vertreten die Ansicht, daß ohne eine flächendeckende Nutzung der Daten im Gesundheitswesen keine Chance besteht, die permanenten Kosten- und Beitragssteigerungen in den Griff zu bekommen. Sie können nur bisher weder darlegen, wie dies ohne das Risiko permanenter Datenlecks mit verheerenden Folgen für die Betroffenen geschehen kann, noch, wie der gesellschaftliche Mechanismus zur Definition der Optimierungsziele aussehen soll. Dadurch bildet sich in diesem Bereich eine Art »Automatisierungsstau« heraus, der verhindert, daß die volle Bandbreite der verfügbaren Technologien genutzt wird, bevor man nicht die Risiken und Unwägbarkeiten diskutiert und in den Griff bekommen hat und klar ist, wofür die Technik eingesetzt wird – für mehr Profite der verschiedenen Akteure oder zum Wohl der Patienten.
Diese Situation findet sich im Grunde überall da, wo es um große Mengen Daten von und über Menschen geht. Es gibt erhebliche Potentiale für Automatisierung und eine gesamtgesellschaftliche Effizienzsteigerung, die sich nicht nur auf den derzeit im Vordergrund stehenden ewigen Drang beziehen, uns allen mehr zu verkaufen. Die Frage, wie und zu wessen Nutzen die Daten, die wir überall und ständig produzieren und hinterlassen, genutzt werden sollen, wird ganz entscheidend dafür sein, wie die Zukunft unserer Arbeits- und Lebenswelt aussehen wird.
Derzeit wird das Öl des Informationszeitalters ohne Gewinn für die Allgemeinheit privatisiert – außer vielleicht der vagen Versicherung, daß der Service dadurch besser würde. Mehr Daten über
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