Arbeitsfrei: Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen (German Edition)
diese wiederum ihre freien Kapazitäten und Fähigkeiten an das Produktionsplanungssystem kommunizieren kann.
Menschen sind in derartigen Visionen in der Fabrikhalle nur noch für die Fehlerbehebung und solche Arbeiten selbst zuständig, die bisher nicht gut oder nicht zu sinnvollen Kosten automatisiert werden können. Ihre Arbeitsanweisungen und Aufträge bekommen sie von der Software – ein Zustand, der bereits heute in den Fabrikhallen eher die Regel als die Ausnahme ist.
Das Buzzword für solche aufeinander aufbauenden Strukturen relativ autonomer Softwarekomponenten lautet »Multilevel-Agentensysteme«, wird jedoch in der Industrie nicht so gern verwendet, da einige Informatiker vor ein paar Jahren schon ganz aufgeregt davon phantasiert haben, wie alles von Agentensystemen gesteuert werden wird, jedoch viel zu lange kaum Brauchbares liefern konnten. Wie so oft in der Softwarebranche dauert alles immer länger als angenommen, nicht selten so lange, bis niemand mehr die ursprünglichen Versprechungen ernst nimmt und dann doch viele überrascht sind, wenn zehn oder zwanzig Jahre später plötzlich die technischen Grundvoraussetzungen gegeben sind, um die einstmaligen Luftschloßkonzepte tatsächlich in der Praxis – oft mit einigen Modifizierungen – zum Fliegen zu bringen.
Ein Beispiel für diesen Mechanismus sind die Algorithmen für maschinelles Lernen, die jahrzehntelang ein Mauerblümchendasein in den Fluren der Universitäten gefristet haben. Sie rücken seit einigen Jahren aus ihrem Schattendasein ins Zentrum der digitalen Wirtschaft. Durch die riesigen Datenmengen, die Internet, Mobilfunk, Social Media und die Digitalisierung aller Lebens- und Arbeitsbereiche erzeugen, und die Rechenleistungen und Speicherkapazitäten der modernen massiv-parallelen Computer, die aus Millionen von Prozessoren zusammengebaut sind, werden einstmals für perspektivlose Spinnerei gehaltene Algorithmen und Konzepte nun praxisrelevant. Und obwohl wir eigentlich genug Zeit gehabt hätten, über die Folgen nachzudenken, hat es kaum jemand getan, weil sich die Aufmerksamkeit schnell abwendet, sobald eine Technologie ihren ersten Hypezyklus hinter sich hat, ohne die gegebenen Versprechungen einzuhalten.
Bis die Visionen der »Industrie 4.0« Realität sind, werden noch ein paar Jahre ins Land gehen. Es gibt jedoch keine prinzipiellen technischen Hürden, die der Realisierung entgegenstehen. Alle Komponenten und Technologien gibt es im wesentlichen bereits heute. Die Umstellung der Produktionsorganisation darauf, daß das Werkstück eine international eindeutige Identifikation enthält, die seinen Weg durch Fabriken und Logistik digital steuert, so daß sich zentralisierte Systeme nur noch um das große Gesamtbild kümmern müssen, beginnt in etlichen Bereichen schon.
Ein frühes Vorzeichen dafür ist, daß immer mehr Großkonzerne ihre im Sparrausch der letzten zwei Jahrzehnte outgesourcten IT-Abteilungen wieder ins Haus holen. Dabei geht es nicht nur um die Kosten und unangenehmen Überraschungen, die viele Outsourcingverträge erzeugt haben. Mit der Umstellung auf die totale und unwiderrufliche Abhängigkeit von der vernetzten, algorithmischen Steuerung aller Produktionsprozesse und den erheblichen Wettbewerbsvorsprüngen, die aus besseren Algorithmen der Agenten resultieren können, will man sich mancherorts nicht länger auf externe Dienstleister verlassen.
Das ist zum einen eine Frage der Zuverlässigkeit, zum anderen aber auch zunehmend ein direktes Wettbewerbsfeld. Wenn der Konkurrent mit den besseren Algorithmen gewinnt, warum sollte man sich dann auf die Standardangebote der Outsourcing-Dienstleister verlassen? Der reine Rechnerbetrieb, also die Verfügbarkeit von Computerleistung, Bandbreite und Speicherplatz, ist zu einer Dienstleistung geworden, die man völlig isoliert von den nun eigentlich wichtigen Aspekten mieten kann: Datenbanken, Sensornetzen, Agentenalgorithmen bis hin zu Datenformatkonvertierern, um die Kommunikation zwischen den verschiedenen Teilen des Systems möglich zu machen. Wie effizient, wie produktiv und wie flexibel einsetzbar ein Produktionsbetrieb ist, wird dann primär von seinen Softwarekomponenten bestimmt. Die Entwicklung oder zumindest die Netze und den Einsatz der Algorithmen selbst in der Hand zu halten wird so wieder eine Kernfunktion des Unternehmens.
Nicht nur in der industriellen Fertigung wird schon in naher Zukunft immer mehr von Datenströmen und Algorithmen dominiert, die sie
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